(„Willst
du einen Brief, so schreibe einen Brief“)
So
hieß es in meiner Kindheit, wenn ich den Briefkasten leerte und es
schade fand, dass da nebst der Zeitung oft nur Rechnungen und Werbung
ins Haus flatterte. Kürzlich habe ich mich mit einem Freund darüber
unterhalten, wie die Briefsammlungen in Zukunft wohl aussehen werden.
20 Bände mit einzeiligen eMails, SMS, WhatsApp-Nachrichten und
Facebook-Messages? Eine schreckliche Vorstellung. Aber gar nicht so
abwegig. Und doch sind es oft gerade die Briefsammlungen, die ich so
wertvoll finde. In den Briefen der Reformatoren und auch anderer
wichtiger Persönlichkeiten finden sich die Personen ganz
authentisch. Als ich im Studium auf die von Rudolf Schwarz
herausgegebene Sammlung von Briefen Johannes Calvins stieß, war das
traumhaft, denn da konnte man den Mann hinter der Institutio in all
seinen Schwierigkeiten, Erbitterung, Schmerzen und Problemen, aber
auch in seinen Freuden und Siegen erleben. In den Briefen werden
viele Dinge klarer und besser sichtbar, weil sie die Veränderungen
des Menschen beschreiben. Selbst dann, wenn sich dieser dessen gar
nicht bewusst ist. Große Persönlichkeiten haben schon immer große
Freundschaften gepflegt und sind nicht selten erst durch diese
Freundschaften zu dem „geschliffen“ worden, was sie später
waren.
Wir
leben in einem Zeitalter der sofortigen Befriedigung. Wenn wir etwas
wissen wollen, so sind wir nicht mehr bereit, Wochen auf die Antwort
zu warten. Die Zeit der sofortigen Befriedigung hat ihren Anfang mit
dem Telegraphen genommen, als es erstmals möglich war, Informationen
schneller als Menschen zu befördern. Dann kam das Telephon. Heute
haben wir durch das Internet einige weitere Medien, die uns diese
schnelle Befriedigung gewähren. Dadurch geht nicht nur die Geduld
verloren, sondern auch ein Teil des Menschseins an sich. Die
Information wird entpersönlicht, da sie vom Menschen als Medium
losgekoppelt und stattdessen durch unpersönliche Medien
weitergegeben wird. Die Handschrift mit ihrer jeweils persönlichen
Note geht verloren; alles kann nach Vorlage XY formatiert werden. Der
vielleicht einzige Unterschied ist noch die Anzahl an Fehlern der
Grammatik; aber auch diese können dank entsprechender Software
größtenteils eliminiert werden.
In
meiner Kindheit und frühen Jugend hatte ich im Laufe der Jahre
insgesamt sechs Brieffreundschaften. Zwei davon wurden über die
Grundschule vermittelt, wo wir als ganze Klasse mit einer anderen
Klasse in Deutschland einen solchen Briefaustausch pflegten. Eine
entstand durch eine Flaschenpost, die ich beim Tretbootfahren aus dem
Lago di Lugano gezogen habe. Die drei anderen kamen dadurch zustande,
dass ich auf Anfragen in einer Kinderzeitschrift antwortete. Alle
sechs haben mir sehr viel gebracht; und alle sechs wurden dadurch
beendet, dass plötzlich keine Antwort mehr kam. Auch auf mehrere
Nachfragen war Funkstille. Das war schade, denn es zeugt von der
Wegwerfgesellschaft, in der wir leben. Menschen werden solange
gebraucht, wie sie einem genug Wertvolles geben. Sobald etwas anderes
wertvoller wird und die Zeit fehlt, lässt man bisherige Menschen
fallen. Oft auch, ohne das selbst zu sagen; einfach nur durch
Ignorieren.
Ich
frage mich immer mal wieder, ob es so etwas wie eine richtige
Brieffreundschaft mit handgeschriebenen Briefen, Briefmarken,
Umschlägen und der Freude am Briefkasten noch gibt. Meinem Sohn
wünsche ich, dass er diese Freude eines Tages auch erleben darf.
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