Dies
ist der vierte und letzte Teil einer Blogserie über Siegfried
Zimmers Buch „Schadet die Bibelwissenschaft dem Glauben?“ Hier
geht es zu Teil
1, Teil
2 und Teil
3.
Fehlende
Definitionen
Was
ist für S. Zimmer die „Bibelwissenschaft“? Eine der größten
Schwächen (oder aus seiner Sicht vielleicht eher Stärken) Zimmers
besteht darin, dass seine Begriffe sehr unklar, schwammig und
undefiniert sind. Erst gegen Ende des Buches lässt Zimmer dann
entsprechend die Katze aus dem Sack: „Weil die diesbezüglichen
Missverständnisse fast unüberwindlich sind, sollte man das Wort
'Bibelkritik' im (nichtwissenschaftlichen) Gespräch unter Christen
nach Möglichkeit vermeiden. Man kann es durch das Wort
'Bibelwissenschaft' ersetzen. Beide Worte meinen das Gleiche.“
(Zimmer, S. 153)
Ein
anderes Beispiel ist ganz am Anfang zu finden: „Die Kirche darf
nichts lehren, was dem Evangelium von Jesus Christus widerspricht. In
diesem Sinn ist die Bibel der Maßstab (Kanon) für den Glauben, die
Lehre und das Leben der Christen.“ (S. 14) Das klingt – wie
bereits gesagt – gut. Die Frage ist nur: Was ist für Zimmer das
Evangelium? Die Rede vom Evangelium klingt für Christen immer gut.
Aber davon gibt es so viele und dabei ganz unterschiedliche
Vorstellungen, was man unter diesem Schlagwort verstehen kann.
Zimmer
meint, er könne mit seinem Buch etwas für die Einheit unter
Christen tun, wenn er dabei ganz unklar und schwammig bleibt, damit
sich jeder selbst etwas darunter vorstellen kann. Und das ist ein
grundlegendes Problem unter Christen unserer Zeit. Es ist kaum noch
Bereitschaft vorhanden, über Inhalte zu diskutieren. Lieber
diskutiert man darüber, mit welcher leeren Worthülse möglichst
viele Christen leben können – und nennt das Ganze dann „Einheit“.
Das Problem ist jedoch, dass es echte Einheit nur bei den jeweiligen
Inhalten geben kann und nicht bei den Worthülsen. Sonst gibt es nur
noch eine undefinierte Pseudo-Einheit, die niemandem etwas bringt.
Was
das Evangelium betrifft, lässt Zimmer seine Leser im Dunkeln. Der
Leser bleibt am Schluss mit seinen Fragen zurück: Darf Jesus
Christus an der Stelle der Gläubigen am Kreuz gestorben sein, oder
ist das dann ein „kosmischer Kindesmissbrauch“ (Steve Chalke)?
Darf Jesus Christus echte Dämonen ausgetrieben haben oder sind das
nur Symbole für das Böse im Menschen? Darf Jesus Christus die
Wunder tatsächlich getan haben? Darf Jesus Christus tatsächlich,
echt, historisch und körperlich auferstanden sein? Darf Jesus
Christus sich selbst als Messias bezeichnet haben oder ist das nur
ein Titel, den ihm die nachösterliche Gemeinde verliehen hat? Fragen
über Fragen – und der Leser bleibt in all diesen Fällen ohne
Antwort. Auf schwäbisch gesagt: "Guad gmoant isch ned emmer
guad gmacht" (Gut gemeint ist nicht immer gleichbedeutend mit
gut gemacht).
Überhaupt
stellt sich die Frage, welchen Jesus Christus Zimmer meint, wenn er
schreibt: „Im Konfliktfall argumentieren wir ohne jedes Zögern
mit Jesus Christus gegen die Bibel.“ (Zimmer, S. 96) Also eine
Aussage darf Jesus Christus schon mal getroffen haben (also
wenigstens mal eine Festlegung. Immerhin.): Die Sache mit der
Feindesliebe. So. Punkt. Und dann nehmen wir diese Feindesliebe und
argumentieren damit einfach so mal gegen alles Mögliche im Alten
Testament. Etwa gegen den Todesengel, der in 2. Mose 11 die
Erstgeborenen der Ägypter holt. Knallbumm, und weg ist dieser böse
Gott. Da sind wir schon fast bei Marcion (vgl. dritter Teil dieser
Serie), nur dass es jetzt nicht gegen den Demiurgen geht, sondern mit
Jesus Christus und der Feindesliebe argumentiert wird.
Wie
funktioniert diese Bibelwissenschaft?
Ganz
genau erklärt das Zimmer nicht. Er geht auf die Untersuchung der
Religionen des Orients ein, aber auch da ist er zu schlau und zu
vorsichtig, um zuviel darüber zu sagen. Ich möchte an einem anderen
Beispiel versuchen zu skizzieren, wie das geschehen kann. Ab etwa
1835 gab es in der deutschen Theologie eine ganze Bewegung von
Theologen, die versucht haben, herauszufinden, wer dieser Jesus von
Nazareth tatsächlich war. Man wollte alles eliminieren, was diesem
Jesus von den Evangelisten später angedichtet wurde, also alle
Wunder, alle „Hoheitstitel“, alle Predigtinhalte, die womöglich
von jemand anderem stammen könnten. Und irgendwann merkten sie: Am
Schluss bleibt von diesem Jesus immer genau das übrig, was man am
Anfang von ihm dachte. Der Theologe wird am Schluss auf sich selbst
zurückgeworfen.
Der
Theologe Albert Schweitzer hat etwa 70 Jahre nach der Entstehung
dieser Bewegung die Geschichte derselben aufgeschrieben und kam zum
Schluss: „Es ist der Leben-Jesu-Forschung merkwürdig ergangen.
Sie zog aus, um den historischen Jesus zu finden, und meinte, sie
könnte ihn dann, wie er ist, als Lehrer und Heiland in unsere Zeit
hineinstellen. Sie löste die Bande, mit denen er seit Jahrhunderten
an den Felsen der Kirchenlehre gefesselt war, und freute sich, als
wieder Leben und Bewegung in die Gestalt kam und sie den historischen
Menschen Jesus auf sich zukommen sah. Aber er blieb nicht stehen,
sondern ging an unserer Zeit vorüber und kehrte in die seinige
zurück.“ (Albert Schweitzer, Geschichte der
Leben-Jesu-Forschung, S. 397)
Das
Problem bei all diesen Zugangsweisen der historisch-kritischen
Methoden ist dabei immer dasselbe, das sich bei der
Leben-Jesu-Forschung gezeigt hat: Am Ende bleibt der Mensch, der sich
über die Bibel stellt, immer an sich selbst hängen. Er muss von
gewissen Prämissen ausgehen, also etwas voraussetzen. Und am Ende
bleibt immer genau das übrig, was er zuerst vorausgesetzt hat.
Der
Bankrott der Bibelkritik
Was
am Ende vom Nutzen dieser Methoden bleibt, ist sehr mager. Man hat
jede Menge Zeit investiert, um einen Bibeltext mit allen möglichen
Methoden zu erarbeiten, und findet am Ende doch immer nur sich selbst
und seine eigenen Gedanken darin. Etwas wirklich Neues, Wertvolles
wird sich dadurch nicht ergeben. Wer Zimmers Buch sensibel und mit
offenen Augen liest, wird bemerken, dass auch Zimmer den Bankrott der
Bibelkritik anmeldet, allerdings mit sehr leiser, zaghafter Stimme.
Am Schluss des Kapitels über die Bibelkritik bemerkt er, dass diese
Wissenschaft eine Kluft zwischen „der universitären
Bibelwissenschaft und dem Leben der Christen bzw. der christlichen
Gemeinde“ (S. 166) schafft. Die weiteren Ausführungen zeigen, dass
diese Methoden in der Praxis am Ende angelangt sind: „Auch die
nichtwissenschaftlichen Zugangsweisen zur Bibel verdienen Beachtung
und Anerkennung. Man kann in die biblische Botschaft sehr intensiv
verstrickt werden, indem man sich den biblischen Texten betend,
meditierend, singend, musizierend, malend, tanzend und spielend
zuwendet.“ (S. 167)
Vielleicht
sollte man sich doch langsam wieder auf die wörtliche
Exegese einlassen, die schon die Reformatoren betrieben haben? Aber
vermutlich ist das dann wieder zu fundamentalistisch. Ein Glanzstück
der historisch-kritischen Bibelwissenschaft habe ich vor Jahren in
einer evangelischen Kirche erlebt: Bei der Speisung der 5000 soll es
nicht darum gegangen sein, dass Jesus das Brot durch ein Wunder
vermehrt habe, sondern jeder Anwesende soll sich (durch ein Wunder)
erinnert haben, dass er auch noch etwas zu Essen in der Tasche
stecken habe, und als dann alle mit allen geteilt haben, sei auch
noch etwas mehr übrig geblieben. Einmal mehr zeigt sich da, dass am
Ende der Mensch immer auf sich selbst zurückgeworfen wird, wenn er
die Autorität Gottes verlässt. Aber leider muss man nicht einmal so
weit suchen gehen, um Meisterleistungen der Eisegese (Hineinlesen
eigener Gedanken in den Bibeltext) zu finden. Leider findet sich
solches auch oft genug in Gemeinden, die formal die Autorität und
Irrtumslosigkeit von Gottes Wort bezeugt wird.
Zimmers
Ruf an die alternativen Herangehensweisen an den Bibeltext ist ein
Hilfeschrei. Hier wird seine Verletzlichkeit plötzlich sichtbar.
Seine Methoden bringen Distanz zum Leben, und das ist ein Problem.
Doch Jesus ist größer als alle Bibelkritik; das Beispiel der
historisch-kritischen Theologin und Schülerin Rudolf Bultmanns Prof.
Eta Linnemann zeigt, dass Jesus größer ist und über der
Bibelkritik steht. Ich werde weiterhin für Prof. Zimmer beten, dass
der Herr Jesus ihm ganz persönlich begegnet und ihn von der
tatsächlichen göttlichen Autorität und Fehlerlosigkeit der Bibel
überzeugt. Das kann niemand von uns, es ist Seine Sache.
Zum
Schluss noch eine Prise Selbstkritik
Es
ist einfach, ein Buch wie das von Zimmer zu zerlegen, zumal die
Argumente nicht besonders überzeugend sind und sich mit etwas
Hintergrundwissen relativ gut widerlegen lassen. Eine andere Frage
bleibt aber bestehen: Viele Menschen finden die Vorträge von Zimmer
gut und befreiend. Kann man dafür jetzt einfach nur den „Zeitgeist“
verantwortlich machen? Eins ist klar: Zimmer möchte den Zuhörern
helfen, sich von furchteinflößenden Gottesbildern zu lösen. Das
macht seine Vorträge befreiend. Er möchte aber auch ein anderes
Gottesbild präsentieren, und zwar eines, mit dem möglichst viele
Menschen etwas anfangen können. Bei ihm geht es nicht mehr um die
Frage: Was muss ich tun, damit Gott mich annehmen kann? Sondern: Wie
muss dein Gott sein, damit du ihn annehmen kannst? So ähnlich hat
bereits Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher auf die kritischen
Fragen seiner Zeitgenossen reagiert. Und seine Antwort war: Religion
(heute würde man sagen „Der Glaube an Gott“) ist das Gefühl der
schlechthinnigen (=absoluten) Abhängigkeit. Es geht letztlich um das
Gefühl. Der Glaube soll uns ein gutes Gefühl geben. Da haben
Schleiermacher und Zimmer durchaus einen Nerv ihrer Zeiten getroffen.
Aber
ich will fragen: Kann es sein, dass es im Evangelikalismus unserer
Zeit ein Vakuum gibt, das die Vorträge von Zimmer füllen können?
Ich meine ja, und möchte drei mögliche Antworten kurz skizzieren.
1.
Wir brauchen mehr tiefgehende biblische Lehre. Wer in der
biblischen Lehre gut informiert ist und nicht nur ein seichtes
Wohlfühlevangelium kennt, wird auf Zimmers Versuche nicht
hereinfallen. Wir brauchen mehr Apologetik und tiefes Nachdenken über
Gottes Wort und die ethischen Herausforderungen unserer Zeit.
2.
Wir brauchen den Mut, Lücken und Schwächen zuzugeben. Was viele
Menschen an Zimmer fasziniert, ist sein Mut, nicht auf alles eine
fertige Antwort zu haben. Er kann sehr gut auf die Menschen hören
und sie verstehen und hat nicht einfach immer auf alles eine fertige
Antwort. Authentizität und Mut zur Lücke sind hier gefragt. Im
Wissenschaftsbetrieb ist es übrigens ganz normal und gesund, auf
viele Fragen (noch) keine Antwort zu haben.
3.
Wir brauchen eine erneuerte Vision von Gottes atemberaubender
Schönheit. Unsere Generation lechzt nach Schönheit; und hier
können wir aus der Kirchengeschichte lernen. Augustinus von Hippo,
Jonathan Edwards, Blaise Pascal und C. S. Lewis hatten wie kaum
jemand anderes eine solche Vision von der Schönheit Gottes. Für sie
alle war Schönheit der Grund, warum man nach Gott verlangen soll.
Besonders auf Schriften von Jonathan Edwards können wir
zurückgreifen, um eine solche Vision von Neuem zu erlangen.