Mittwoch, 26. März 2014

Truth Decay – Die Auflösung der Wahrheit


Über die vergangenen etwa acht Monate hinweg habe ich in unregelmäßigen Abständen und mit zahlreichen Anläufen das Buch „Truth Decay – Defending Christianity against the Challenges of Postmodernism“ von Douglas Groothuis gelesen. Es ist ein wahnsinnig herausforderndes Buch, und manchmal habe ich schon über einen kurzen Abschnitt für Tage oder Wochen zu kauen gehabt. Es ist auf englisch geschrieben, und ich muss vorausschicken, dass es auch sprachlich nicht ganz einfach zu lesen ist. Wer sich aber die Mühe macht und entweder besser englisch kann als ich oder auch ein Wörterbuch zur Seite hat, wird mit den zahlreichen guten Gedanken in dem Buch wahrlich reich belohnt. Groothuis ist von Francis A. Schaeffer beeinflusst, was natürlich aus meiner Sicht für ihn spricht. Man merkt es im Buch nicht nur an den Zitaten von Schaeffer, sondern auch an den glasklaren Gedankengängen, sowie auch an der Deutlichkeit der Sprache und der Liebe zur Kunst. Douglas Groothuis, Truth Decay, InterVarsity Press, 2000, Amazon

In der Einführung (S. 9 - 15) gibt Groothuis einen kurze Einblick in das Thema, sowie einen guten Überblick über den Aufbau des Buches. Er betont mit Angabe von Römer 1, 18 – 20, dass jeder Mensch Gott erkennt, aber zugleich eine natürliche Abneigung gegen diese Erkenntnis hat.

Das erste Kapitel, „Wahrheit in Gefahr“ (S. 17 – 31), handelt von der Wahrheit an sich. Es geht darum, dass in der Geschichte der Menschheit immer davon ausgegangen wurde, dass es Wahrheit an sich gibt. Als die ersten Staaten der USA 1776 ihre Unabhängigkeit ausriefen, konnten sie sich darauf berufen, dass gewisse Wahrheiten selbstverständlich sind, nämlich dass alle Menschen gleich geschaffen wurden, dass sie von ihrem Schöpfer mit bestimmten unveräußerlichen Rechten ausgestattet wurden, wie zum Beispiel Recht auf Leben, auf Freiheit und Streben nach Glück. Mit Richard Rorty und dem Postmodernismus jedoch kommt ein neuer Ton auf: Man müsse die Vorstellung hinter sich lassen, dass es Wahrheit gebe, die für alle Menschen gleichermaßen gültig sei. Diese Vorstellung sei auch in den Evangelikalismus eingedrungen, wo man vor diesen neuen Sichtweisen der Postmoderne kapituliert habe.

Das zweite Kapitel, „Von der Moderne zur Postmoderne“ (S. 32 – 59), beschäftigt sich noch näher mit der geschichtlichen Entwicklung. Die Geschichte wird zuerst von der Vormoderne zur Moderne, danach von der Moderne zur Postmoderne aufgezeigt. Dieser Schritt ist gar nicht so leicht zu beschreiben. Ist jetzt die Postmoderne eine Abkehr von der Moderne oder ist sie einfach der nächste logische Schritt, also gewissermaßen das grenzenlose Ausleben dessen, was als Same bereits in der Moderne angelegt war? Vermutlich beides zugleich. Für Vertreter der Postmoderne ist alles, was gesagt wird, lediglich eine leere Worthülse, die keine objektive Bedeutung hat, sondern von jedem Menschen selbst mit Inhalt gefüllt werden muss. Ein Text kann nicht mehr verstanden werden, weil man nie weiß, womit der Autor seine Worte in seiner eigenen Vorstellung verknüpft hatte. Da diese Sichtweise sich in der Gesellschaft etabliert, verliert die Geschichte ihre Bedeutung. Es gibt keine Geschichte mehr, sondern nur ganz viele Geschichten, so viele, wie es Kulturen oder gar Menschen gibt. Der Verlust der Geschichte geht einher mit dem Verlust der Identität, alles wird gleich gültig und damit auch gleichgültig.

Im dritten Kapitel, „Die biblische Sicht der Wahrheit“ (S. 60 - 82), kommt die Bibel zum Zug. Hier wird eine biblische Sichtweise von der Wahrheit entwickelt, die ich als sehr wohltuend im Chaos dessen empfand, was in den vorangegangenen Kapitel beschrieben wurde. Verschiedene hebräische und griechische Wörter für „Wahrheit“ werden untersucht, ebenso die Stellen, an denen sie auftreten, und Groothuis kommt zu acht wichtigen Schlussfolgerungen: Erstens, Wahrheit ist von Gott offenbart, sie wird nicht konstruiert oder erfunden von Individuen oder Gesellschaften. Zweitens, objektive Wahrheit existiert und ist erkennbar. Gott ist die Quelle der objektiven Wahrheit über sich selbst und seine Schöpfung. Drittens, christliche Wahrheit ist absolut in ihrem Wesen. Sie ist es ohne Ausnahme. Viertens, Wahrheit ist universell, das heißt, sie ist überall anwendbar, sie beschäftigt sich mit allem und schließt nichts aus. Fünftens, die Wahrheit von Gott schließt sich nicht an Trends an. Sechstens, Wahrheit ist ausschließend, spezifisch und gegensätzlich. Für jedes theologische „Ja“ gibt es eine Million „Neins“. Siebtens, Wahrheit ist systematisch und einheitlich. Wahrheit ist eins, so wie Gott eins ist. Achtens, Wahrheit ist ein Ziel, und kein Zweck zu einem Ziel. Sie soll um ihrer selbst willen gewollt und gesucht werden. Ein wahrlich wohltuendes Kapitel!

Im vierten Kapitel, „Die Wahrheit über die Wahrheit“ (S. 83 – 110), beschreibt Groothuis die heutige Schwierigkeit, überhaupt von Wahrheit zu sprechen. Der Postmodernismus kennt auch Konzepte von der Wahrheit, die allerdings nichts mit der biblischen Sicht zu tun haben. Der Autor stellt fest, dass er bei einer Veranstaltung zum Thema „Spiritualität“ herausfand, dass er mit einer Muslima mehr gemein hatte als mit den meisten übrigen Besuchern. Obwohl sie sich darin unterschieden, WAS denn nun die Wahrheit sei, waren sie sich doch einig, DASS es tatsächlich objektive Wahrheit gibt. Wichtig ist in diesem Kapitel der Abschnitt über die postmoderne Sicht von Sprache und Wahrheit. Der Postmoderne betrachtet die Sprache als Konstrukt einer Gesellschaft und zugleich als Konstrukt des Individuums. Auf diese Weise gibt es keinen gemeinsamen Boden mehr, auf dem man sich objektiv verständigen kann. Zugleich betrachtet der Postmoderne auch das Wort „Wahrheit“ mit kritischem Blick, weil er denkt, dass dieses Wort zu lange missbraucht worden sei, um Menschen zu unterdrücken.

Das fünfte Kapitel, „Die postmoderne Herausforderung an die Theologie“ (S. 111 – 138), handelt von den Schwierigkeiten, die das postmoderne Denken in Bezug auf die biblische Wahrheit macht. Sehr gut finde ich die Feststellung von Groothuis, dass auch die Poesie theologische Aussagen macht. Sie ist nicht nur dazu da, um unsere Gefühle zu bewegen, sondern (und gerade) auch, um theologisch korrekte, wahre Feststellungen zu machen. Christus gehört jeder Quadratmeter des Universums, deshalb sind die Aussagen der Bibel auch nicht nur für die Menschen innerhalb der christlichen Gemeinschaft, sondern sie gelten allen Menschen universell. Die Bibel ist Offenbarung der Wahrheit, weshalb sie das Medium ist, durch welches jede Gesellschaft, jede Theorie und jede Aussage geprüft werden muss. Auf der einen Seite muss da die Abwehr gegen die Moderne sein, die versucht hat, die göttliche Offenbarung dem Verstand zu unterwerfen, zugleich aber auch die Abwehr gegen die Postmoderne, welche das Vorhandensein der universellen Wahrheit leugnet.

Im sechsten Kapitel, „Postmoderne und Apologetik“ (S. 139 – 160), kommt Groothuis auf sein wichtiges Anliegen der Apologetik zu sprechen. Es geht um die Frage: Wie können Christen in der postmodernen Welt die biblische Weltanschauung verteidigen? Zunächst müssen wir sehen, dass Jesus Christus von seinen Nachfolgern verlangt, bestimmte Wahrheiten zu glauben, ihnen zuzustimmen und sich selbst Christus als Gott hingeben und anvertrauen. Dafür braucht man bestimmte Dinge zu wissen. Manche davon können aus der Natur und dem eigenen Gewissen (s. Römer 1 und 2) abgeleitet werden. Andere kommen aus der göttlichen Offenbarung in der Bibel. Auf jeden Fall können diese gesehen, gehört, festgestellt, verstanden und akzeptiert werden. Wir brauchen nicht davor zurückzuschrecken, dass die Bibel voll von übernatürlichen Wundern ist, weil unser Anfangspunkt nicht der Mensch in seiner begrenzten Erfahrung ist, sondern der übernatürliche, allmächtige und allwissende Gott.

Dies wird im siebten Kapitel, „Apologetik für Postmoderne“ (S. 161 – 186), breiter ausgeführt. Zu Beginn weist Groothuis auf die Gefahr hin, „relevant“ sein zu wollen. Er betont, dass wir eher darauf achten sollten, uns mit der Kultur und dem Denken den Menschen (kritisch) auseinanderzusetzen, als zu versuchen, möglichst relevant zu erscheinen. Wenn die Welt voll von Künstlichkeit, kultureller Trivialität und billigen, nichtssagenden Worten ist, müssen wir, um Salz und Licht in dieser Welt zu sein, Worte sagen und schreiben, die Gewicht und Bedeutung haben, „Worte, die auf die unerschütterlichen, aber anwendbaren, Wahrheiten von Gottes Reich hinweisen.“ (S. 164) Wir müssen auch sagen, was alles die biblische Wahrheit NICHT lehrt, und wo sie im Gegensatz zu anderen Sichtweisen steht. Wichtig ist auch, dass wir sehen, dass die Gesetze der Logik für alle Menschen gleichermaßen gültig sind. Jede Weltanschauung muss mit den Gesetzen der Logik geprüft werden. Es kann nicht dasselbe gleichzeitig gültig und ungültig sein. Auf die Theorie des Postmodernismus angewandt, bedeutet dies zum Beispiel, dass die Aussage „jede Wahrheit ist nur ein Konstrukt“ auch auf diese Aussage angewandt werden muss, womit die gesamte Theorie in sich zusammenfällt. Warum schreiben Postmodernisten Bücher und lassen diese auch drucken und verlegen, wenn sie meinen, dass Bücher vom Leser nicht verstanden werden können? Der Postmodernismus versagt darin, ihre Aussagen auf sich selbst anwenden zu können und zeigt damit, dass er unfähig ist, irgend etwas in dieser Welt zu erklären.

Das achte Kapitel, „Ethik ohne Realität, postmoderner Stil“ (S. 187 – 210) befasst sich mit der Frage, was der Postmodernismus zur Ethik zu sagen hat. Wenn es keine objektive Wahrheit gibt, kann es dann überhaupt irgend etwas geben, was moralisch richtig oder falsch ist? Der Postmoderne muss – wenn er von moralisch richtigen und falschen Entscheidungen sprechen will – stets auf das abendländisch-christliche Fundament der Wahrheit zurückgreifen. Richard Rorty ist hier zum Beispiel sehr inkonsequent und meint, dass man innerhalb seiner moralischen Tradition bleiben und diese verteidigen solle. Er denkt, dass jede Gesellschaft ihre eigene Moral definieren solle, aber keine ihre eigenen Standards von anderen erwarten könne. Ganz anders Michel Foucault: Er war als konsequenterer Postmoderner für den absoluten Anarchismus. Für Foucault war jede Wahrheit und jede Moral die Quelle der Unterdrückung Anderer. So gesehen ist die Forderung nach Abschaffung aller Gesetze, Regierungen und so weiter, nur der nächste logische Schritt für den Postmodernen. Woher aber Foucault wissen kann, dass es tatsächlich ein guter Schritt sein soll, bleibt im Dunkel. Auch der Postmoderne braucht Maßstäbe, um „gut“ und „falsch“ zu unterscheiden – und widerspricht damit seiner Weltanschauung.

Im neunten Kapitel, „Rasse, Geschlecht und Postmoderne“ (S. 211 – 238), führt Groothuis das Konzept der Minderheiten in der Theorie des Postmodernismus aus. Der Postmoderne betrachtet – wie bereits gesagt – das Konzept der Wahrheit als Mittel, um Minderheiten zu unterdrücken. Dass dies zum Teil so geschehen ist, kann niemand leugnen. Es ist die traurige Wahrheit, dass im Namen der Wahrheit ganze Völker ausgebeutet und eliminiert wurden. Dennoch darf man nicht übersehen, dass die Aufhebung der Sklaverei in den USA auf das Wirken von Christen initiiert wurde. Und so ist es auch wichtig, dass wir das biblische Konzept der Gottesebenbildlichkeit aller Menschen nutzen, und klarstellen, dass allen Menschen dieser Wert zugesprochen werden muss, weil er von Gott gewollt und geschaffen ist. Auch wenn ich den Ausführungen von Groothuis zu seiner gleichmacherischen („egalitarian“) Sichtweise in Bezug auf Mann und Frau nicht zustimmen kann, ist dieses Kapitel dennoch eine große Ermutigung zur Überwindung von Rassismus und Unterdrückung in jeder Form.

Das zehnte Kapitel, „Wahre Schönheit – die Herausforderung an die Postmoderne“ (S. 239 - 262), ist für mich persönlich der Höhepunkt des Buches. Besonders da ich seit Langem denke, dass in unserem Evangelikalismus der Kunst ein viel zu geringer, oft auch belächelter oder gar abgelehnter Platz zugewiesen wird, bin ich den Ausführungen von Groothuis mit großer Freude gefolgt. Dies ist mit ein Kapitel, in dem deutlich wird, wie stark der Autor von Francis Schaeffer beeinflusst ist, nicht nur, indem er Schaeffers Buch „Art and the Bible“ mehrfach zitiert, sondern besonders auch, indem er Schaeffers Gedanken aufgreift und sie selbständig weiterdenkt. Er gibt uns eine biblische Sicht auf die Kunst, die uns hilft, alle Kunst zu beurteilen. Da jedes Medium eine Botschaft an sich enthält, muss auch diese Botschaft geprüft werden. Und dass Kunst ein Medium ist, welches Inhalte übermitteln möchte, wird wohl kaum jemand bestreiten können. Groothuis gibt uns sieben wertvolle Gedanken zur Kunst:
1. Gott schuf die Welt nach Seinem Willen und Design und erachtete sie als „gut“ - bereits bevor der Mensch geschaffen war. Ästhetik ist in dem Sinne nichts individuelles, sondern von Gott erfunden und zu Seiner und unserer Freude.
2. Gott schuf den Menschen nach Seinem Bild – als Haushalter und „Miterschaffer“ unter Gottes Befehl.
3. Es gibt gute Gründe dafür, dass Gott auch am ästhetisch (objektiv) Schönen Freude hat.
4. Die Tragödie kam in die Welt, als die Menschen von der Schlange verführt wurden. Dennoch bleibt der Mensch nach wie vor im Ebenbild Gottes geschaffen und kann so auch Dinge erfinden und erschaffen. Doch auch die guten, von Gott gegebenen, Gaben können missbraucht und gegen den Schöpfer und die Schöpfung eingesetzt werden durch die Sünde.
5. In der Ästhetik scheint die Transzendenz Gottes dennoch manchmal durch.
6. In der Schönheit, mit der die Stiftshütte damals und später der Tempel gebaut werden musste, zeigt sich Gottes Anliegen für die ästhetische Schönheit. Objektiv künstlerischer Wert wurzelt in Gottes Inspiration für dieses Werk. Sogar die Bauleute wurden noch besonders gesalbt für die Schönheit ihrer Arbeit.
7. Ein biblisches Verständnis der Kultur gründet sich darauf, dass die künstlerischen Gegenstände in der zukünftigen Welt gereinigt und transformiert sein werden. Dies sieht Groothuis zum Beispiel in Jesaja 60,5 begründet, wo mitten im Kapitel über die himmlische Stadt davon die Rede ist, dass der „Reichtum der Nationen“ dort sein wird.

Das elfte und letzte Kapitel, „Der Fixpunkt in einer postmodernen Welt“ (S. 263 – 280), handelt davon, dass in einer Welt, in der sich alles bewegt, der einzige Fixpunkt die Wahrheit der Bibel sein kann. Groothuis zitiert Blaise Pascals „Pensées“, wo dieser davon schreibt, dass wenn jeder sich in Richtung des Verderbens bewegt, sich niemand zu bewegen scheint, doch sobald jemand aufhören würde, so erscheine er allen anderen plötzlich als der Fixpunkt. Hier sieht Groothuis die Aufgabe des Christen. Er muss sich auf die Suche nach der Wahrheit machen und dann in Liebe die Konfrontation suchen. Es sei wichtig, dass wir die Lehre von der Berufung wieder entdecken würden. Die Leute würden von ihren „geistlichen Lebensstilen“ und „religiösen Vorlieben“ sprechen, statt von ihren von Gott festgelegten Pflichten, Verantwortlichkeiten und Privilegien. Der Mensch steht im Zentrum statt Gott. Die Lehre von der Berufung besagt, dass es keine Aufteilung zwischen dem Heiligen und dem Weltlichen gibt. Für den Christen ist sein ganzes Leben heilig. Christen sollen ihre Gaben entdecken und diese zu Gottes Ehre verstärken oder verbessern. Dadurch sollen wir eine große Freude entwickeln und es als Abenteuer sehen, nach Gottes Willen zu leben.

Im Appendix, „Fernsehen – Vertreter der Wahrheitsauflösung“ (S. 281 – 295), folgt eine Medienkritik im Stil von Marshall McLuhan, welcher dort auch mehrmals zitiert wird. Warum hilft das Fernsehen, die Wahrheit aufzulösen? Zunächst deshalb, weil im Fernsehen das Bild mehr Kraft hat als das Wort. Das Bild beherrscht das Fernsehen. Es bringt viele Eindrücke an den Sehenden heran, zu viele, um sie alle verarbeiten zu können, und zu schnell, um dies zu tun. Fernsehen manipuliert den Sehenden immer. Es gibt ihm das Gefühl, ein Geschehen miterlebt zu haben, obwohl er nur eine manipulierte – gekürzte und somit veränderte – Version davon gesehen hat. Fernsehen führt zu einer Auflösung der menschlichen Identität. Der Mensch ist nicht mehr selbst derjenige, welcher die Situation beurteilen kann, sondern ein anderer hat sie zuvor schon beurteilt und schickt dem Zuschauer die bereits beurteilte und so veränderte Version ins Haus. Nicht zuletzt bringt das Fernsehen dem Menschen auch eine gefälschte Welt ins Haus, in der alles fragmentiert (aufgesplittert) ist. Zudem fordert es vom Zuschauer, immer „up to date“ zu sein, und nimmt ihm dadurch Zeit, um sich tatsächlich mit der Wahrheit auseinanderzusetzen. Groothuis empfiehlt jedem, eine Zeitlang Fernseh-Fasten zu machen (mindestens eine Woche lang) und sich dabei zu überlegen, was sich in der Zeit für ihn ändert. Da ich sowieso kein Fernsehen habe, überlege ich mir, dies mit dem Internet zu machen.

Das Buch ist sehr lesenswert. Es braucht – wie eingangs geschrieben – eine gewisse Zeit zum Verdauen, aber das ist es mehr als Wert. Da das Buch 2000 geschrieben wurde, nimmt das Internet nur sehr geringen Platz ein. Ich würde mir wünschen, dass dies in einer erweiterten Ausgabe auch noch aufgenommen würde. Insbesondere der Wandel von Web 1.0 zu Web 2.0 hat auch in unserer Gesellschaft große und spürbare Veränderungen hinterlassen. Außerdem vermisse ich ein Literaturverzeichnis. Die Bücher sind in den Fußnoten beim ersten Auftreten vollständig angegeben, aber das Fehlen des gesamten Verzeichnis macht das Suchen etwas umständlich. Oder bin ich da schon zu faul und postmodern?

Wer sich mit dem Thema der Postmoderne oder dem Bezeugen der biblischen Wahrheit in unserer Zeit beschäftigt, dem möchte ich das Buch ans Herz legen.

Mittwoch, 19. März 2014

Warum ich Geschichte wichtig finde

Nichts ist mehr, wie es war.“ Hinter diesem Gedanken kann sich eine wehmütige Sehnsucht nach den „guten alten Zeiten“ verbergen. Ob es diese „guten alten Zeiten“ tatsächlich jemals gegeben hat, ist eine andere Frage. Der Mensch neigt schnell dazu, andere Zeiten zu idealisieren. Doch leider ist nie alles ideal – so sehr man sich das auch wünschte. Wenn also jede Zeit mit ihren eigenen Problemen fertig werden muss, wozu sich dann mit der Geschichte beschäftigen? Hier drei ausgewählte Gründe (es gibt noch einige weitere), weshalb die Geschichte wichtig ist:
1. Zur Findung der Identität. Der Mensch ist, was seine Biographie, also seine ganz persönliche Geschichte, aus ihm gemacht hat. Und die heutige westliche Gesellschaft ist ebenfalls das Produkt ihrer Geschichte. Wenn man wissen möchte, warum bestimmte Dinge heute so gesehen werden und nicht anders, braucht man Kenntnis der Geschichte.
2. Um aus der Geschichte zu lernen. Das Leben ist zu kurz, um jeden Fehler selbst zu machen. Wer weiß, welche Fehler andere vor ihm schon begangen haben, oder auch wie sie ihre Probleme gelöst haben, kann Neues dazulernen, ohne immer und überall selbst Fehler machen zu müssen.
3. Um Alternativen aufzuzeigen. Es muss nicht jeder das Rad neu erfinden. Viele Generationen haben schon mit ähnlichen Fragen zu tun gehabt. Und verschiedene Generationen haben dieselben Fragen unterschiedlich beantwortet. Warum nicht einmal über den Tellerrand unserer postmodernen Gesellschaft hinausblicken und sich mit den Antworten früherer Generationen befassen? Es ist eine Haltung der Arroganz, zu meinen, dass die heutige Gesellschaft ihre Probleme nur auf heutige Art und Weise lösen kann. 

Und was sind Deine Gründe für (oder gegen) die Beschäftigung mit der Geschichte?