Über die vergangenen
etwa acht Monate hinweg habe ich in unregelmäßigen Abständen und
mit zahlreichen Anläufen das Buch „Truth Decay – Defending
Christianity against the Challenges of Postmodernism“ von Douglas
Groothuis gelesen. Es ist ein wahnsinnig herausforderndes Buch, und
manchmal habe ich schon über einen kurzen Abschnitt für Tage oder
Wochen zu kauen gehabt. Es ist auf englisch geschrieben, und ich muss
vorausschicken, dass es auch sprachlich nicht ganz einfach zu lesen
ist. Wer sich aber die Mühe macht und entweder besser englisch kann
als ich oder auch ein Wörterbuch zur Seite hat, wird mit den
zahlreichen guten Gedanken in dem Buch wahrlich reich belohnt.
Groothuis ist von Francis A. Schaeffer beeinflusst, was natürlich
aus meiner Sicht für ihn spricht. Man merkt es im Buch nicht nur an
den Zitaten von Schaeffer, sondern auch an den glasklaren
Gedankengängen, sowie auch an der Deutlichkeit der Sprache und der
Liebe zur Kunst. Douglas Groothuis, Truth Decay, InterVarsity Press, 2000, Amazon
In der Einführung
(S. 9 - 15) gibt Groothuis einen kurze Einblick in das Thema, sowie
einen guten Überblick über den Aufbau des Buches. Er betont mit
Angabe von Römer 1, 18 – 20, dass jeder Mensch Gott erkennt, aber
zugleich eine natürliche Abneigung gegen diese Erkenntnis hat.
Das erste Kapitel,
„Wahrheit in Gefahr“ (S. 17 – 31), handelt von der
Wahrheit an sich. Es geht darum, dass in der Geschichte der
Menschheit immer davon ausgegangen wurde, dass es Wahrheit an sich
gibt. Als die ersten Staaten der USA 1776 ihre Unabhängigkeit
ausriefen, konnten sie sich darauf berufen, dass gewisse Wahrheiten
selbstverständlich sind, nämlich dass alle Menschen gleich
geschaffen wurden, dass sie von ihrem Schöpfer mit bestimmten
unveräußerlichen Rechten ausgestattet wurden, wie zum Beispiel
Recht auf Leben, auf Freiheit und Streben nach Glück. Mit Richard
Rorty und dem Postmodernismus jedoch kommt ein neuer Ton auf: Man
müsse die Vorstellung hinter sich lassen, dass es Wahrheit gebe, die
für alle Menschen gleichermaßen gültig sei. Diese Vorstellung sei
auch in den Evangelikalismus eingedrungen, wo man vor diesen neuen
Sichtweisen der Postmoderne kapituliert habe.
Das zweite Kapitel, „Von
der Moderne zur Postmoderne“ (S. 32 – 59), beschäftigt sich
noch näher mit der geschichtlichen Entwicklung. Die Geschichte wird
zuerst von der Vormoderne zur Moderne, danach von der Moderne zur
Postmoderne aufgezeigt. Dieser Schritt ist gar nicht so leicht zu
beschreiben. Ist jetzt die Postmoderne eine Abkehr von der Moderne
oder ist sie einfach der nächste logische Schritt, also
gewissermaßen das grenzenlose Ausleben dessen, was als Same bereits
in der Moderne angelegt war? Vermutlich beides zugleich. Für
Vertreter der Postmoderne ist alles, was gesagt wird, lediglich eine
leere Worthülse, die keine objektive Bedeutung hat, sondern von
jedem Menschen selbst mit Inhalt gefüllt werden muss. Ein Text kann
nicht mehr verstanden werden, weil man nie weiß, womit der Autor
seine Worte in seiner eigenen Vorstellung verknüpft hatte. Da diese
Sichtweise sich in der Gesellschaft etabliert, verliert die
Geschichte ihre Bedeutung. Es gibt keine Geschichte mehr, sondern nur
ganz viele Geschichten, so viele, wie es Kulturen oder gar Menschen
gibt. Der Verlust der Geschichte geht einher mit dem Verlust der
Identität, alles wird gleich gültig und damit auch gleichgültig.
Im dritten Kapitel, „Die
biblische Sicht der Wahrheit“
(S. 60 - 82), kommt die Bibel zum Zug. Hier wird eine
biblische Sichtweise von der Wahrheit entwickelt, die ich als sehr
wohltuend im Chaos dessen empfand, was in den vorangegangenen Kapitel
beschrieben wurde. Verschiedene hebräische und griechische Wörter
für „Wahrheit“ werden untersucht, ebenso die Stellen, an denen
sie auftreten, und Groothuis kommt zu acht wichtigen
Schlussfolgerungen: Erstens, Wahrheit ist von Gott offenbart,
sie wird nicht konstruiert oder erfunden von Individuen oder
Gesellschaften. Zweitens, objektive Wahrheit existiert und ist
erkennbar. Gott ist die Quelle der objektiven Wahrheit über
sich selbst und seine Schöpfung. Drittens, christliche Wahrheit ist
absolut in ihrem Wesen. Sie ist es ohne Ausnahme. Viertens,
Wahrheit ist universell, das heißt, sie ist überall
anwendbar, sie beschäftigt sich mit allem und schließt nichts aus.
Fünftens, die Wahrheit von Gott schließt sich nicht an Trends
an. Sechstens, Wahrheit ist ausschließend, spezifisch und
gegensätzlich. Für jedes theologische „Ja“ gibt es eine
Million „Neins“. Siebtens, Wahrheit ist systematisch und
einheitlich. Wahrheit ist eins, so wie Gott eins ist. Achtens,
Wahrheit ist ein Ziel, und kein Zweck zu einem Ziel. Sie soll
um ihrer selbst willen gewollt und gesucht werden. Ein wahrlich
wohltuendes Kapitel!
Im vierten Kapitel, „Die
Wahrheit über die Wahrheit“ (S. 83 – 110), beschreibt
Groothuis die heutige Schwierigkeit, überhaupt von Wahrheit zu
sprechen. Der Postmodernismus kennt auch Konzepte von der Wahrheit,
die allerdings nichts mit der biblischen Sicht zu tun haben. Der
Autor stellt fest, dass er bei einer Veranstaltung zum Thema
„Spiritualität“ herausfand, dass er mit einer Muslima
mehr gemein hatte als mit den meisten übrigen Besuchern. Obwohl sie
sich darin unterschieden, WAS denn nun die Wahrheit sei, waren sie
sich doch einig, DASS es tatsächlich objektive Wahrheit gibt.
Wichtig ist in diesem Kapitel der Abschnitt über die postmoderne
Sicht von Sprache und Wahrheit. Der Postmoderne betrachtet die
Sprache als Konstrukt einer Gesellschaft und zugleich als Konstrukt
des Individuums. Auf diese Weise gibt es keinen gemeinsamen Boden
mehr, auf dem man sich objektiv verständigen kann. Zugleich
betrachtet der Postmoderne auch das Wort „Wahrheit“ mit
kritischem Blick, weil er denkt, dass dieses Wort zu lange
missbraucht worden sei, um Menschen zu unterdrücken.
Das fünfte Kapitel, „Die
postmoderne Herausforderung an die Theologie“ (S. 111 – 138),
handelt von den Schwierigkeiten, die das postmoderne Denken in Bezug
auf die biblische Wahrheit macht. Sehr gut finde ich die Feststellung
von Groothuis, dass auch die Poesie theologische Aussagen macht. Sie
ist nicht nur dazu da, um unsere Gefühle zu bewegen, sondern (und
gerade) auch, um theologisch korrekte, wahre Feststellungen zu
machen. Christus gehört jeder Quadratmeter des Universums, deshalb
sind die Aussagen der Bibel auch nicht nur für die Menschen
innerhalb der christlichen Gemeinschaft, sondern sie gelten allen
Menschen universell. Die Bibel ist Offenbarung der Wahrheit, weshalb
sie das Medium ist, durch welches jede Gesellschaft, jede Theorie und
jede Aussage geprüft werden muss. Auf der einen Seite muss da die
Abwehr gegen die Moderne sein, die versucht hat, die göttliche
Offenbarung dem Verstand zu unterwerfen, zugleich aber auch die
Abwehr gegen die Postmoderne, welche das Vorhandensein der
universellen Wahrheit leugnet.
Im sechsten Kapitel,
„Postmoderne und Apologetik“ (S. 139 – 160), kommt
Groothuis auf sein wichtiges Anliegen der Apologetik zu sprechen. Es
geht um die Frage: Wie können Christen in der postmodernen Welt die
biblische Weltanschauung verteidigen? Zunächst müssen wir sehen,
dass Jesus Christus von seinen Nachfolgern verlangt, bestimmte
Wahrheiten zu glauben, ihnen zuzustimmen und sich selbst Christus als
Gott hingeben und anvertrauen. Dafür braucht man bestimmte Dinge zu
wissen. Manche davon können aus der Natur und dem eigenen Gewissen
(s. Römer 1 und 2) abgeleitet werden. Andere kommen aus der
göttlichen Offenbarung in der Bibel. Auf jeden Fall können diese
gesehen, gehört, festgestellt, verstanden und akzeptiert werden. Wir
brauchen nicht davor zurückzuschrecken, dass die Bibel voll von
übernatürlichen Wundern ist, weil unser Anfangspunkt nicht der
Mensch in seiner begrenzten Erfahrung ist, sondern der
übernatürliche, allmächtige und allwissende Gott.
Dies wird im siebten
Kapitel, „Apologetik für Postmoderne“ (S. 161 – 186),
breiter ausgeführt. Zu Beginn weist Groothuis auf die Gefahr hin,
„relevant“ sein zu wollen. Er betont, dass wir eher darauf achten
sollten, uns mit der Kultur und dem Denken den Menschen (kritisch)
auseinanderzusetzen, als zu versuchen, möglichst relevant zu
erscheinen. Wenn die Welt voll von Künstlichkeit, kultureller
Trivialität und billigen, nichtssagenden Worten ist, müssen wir, um
Salz und Licht in dieser Welt zu sein, Worte sagen und schreiben, die
Gewicht und Bedeutung haben, „Worte, die auf die
unerschütterlichen, aber anwendbaren, Wahrheiten von Gottes Reich
hinweisen.“ (S. 164) Wir müssen auch sagen, was alles die
biblische Wahrheit NICHT lehrt, und wo sie im Gegensatz zu anderen
Sichtweisen steht. Wichtig ist auch, dass wir sehen, dass die Gesetze
der Logik für alle Menschen gleichermaßen gültig sind. Jede
Weltanschauung muss mit den Gesetzen der Logik geprüft werden. Es
kann nicht dasselbe gleichzeitig gültig und ungültig sein. Auf die
Theorie des Postmodernismus angewandt, bedeutet dies zum Beispiel,
dass die Aussage „jede Wahrheit ist nur ein Konstrukt“ auch auf
diese Aussage angewandt werden muss, womit die gesamte Theorie in
sich zusammenfällt. Warum schreiben Postmodernisten Bücher und
lassen diese auch drucken und verlegen, wenn sie meinen, dass Bücher
vom Leser nicht verstanden werden können? Der Postmodernismus
versagt darin, ihre Aussagen auf sich selbst anwenden zu können und
zeigt damit, dass er unfähig ist, irgend etwas in dieser Welt zu
erklären.
Das achte Kapitel, „Ethik
ohne Realität, postmoderner Stil“ (S. 187 – 210) befasst
sich mit der Frage, was der Postmodernismus zur Ethik zu sagen hat.
Wenn es keine objektive Wahrheit gibt, kann es dann überhaupt irgend
etwas geben, was moralisch richtig oder falsch ist? Der Postmoderne
muss – wenn er von moralisch richtigen und falschen Entscheidungen
sprechen will – stets auf das abendländisch-christliche Fundament
der Wahrheit zurückgreifen. Richard Rorty ist hier zum Beispiel sehr
inkonsequent und meint, dass man innerhalb seiner moralischen
Tradition bleiben und diese verteidigen solle. Er denkt, dass jede
Gesellschaft ihre eigene Moral definieren solle, aber keine ihre
eigenen Standards von anderen erwarten könne. Ganz anders Michel
Foucault: Er war als konsequenterer Postmoderner für den absoluten
Anarchismus. Für Foucault war jede Wahrheit und jede Moral die
Quelle der Unterdrückung Anderer. So gesehen ist die Forderung nach
Abschaffung aller Gesetze, Regierungen und so weiter, nur der nächste
logische Schritt für den Postmodernen. Woher aber Foucault wissen
kann, dass es tatsächlich ein guter Schritt sein soll, bleibt im
Dunkel. Auch der Postmoderne braucht Maßstäbe, um „gut“ und
„falsch“ zu unterscheiden – und widerspricht damit seiner
Weltanschauung.
Im neunten Kapitel,
„Rasse, Geschlecht und Postmoderne“ (S. 211 – 238),
führt Groothuis das Konzept der Minderheiten in der Theorie des
Postmodernismus aus. Der Postmoderne betrachtet – wie bereits
gesagt – das Konzept der Wahrheit als Mittel, um Minderheiten zu
unterdrücken. Dass dies zum Teil so geschehen ist, kann niemand
leugnen. Es ist die traurige Wahrheit, dass im Namen der Wahrheit
ganze Völker ausgebeutet und eliminiert wurden. Dennoch darf man
nicht übersehen, dass die Aufhebung der Sklaverei in den USA auf das
Wirken von Christen initiiert wurde. Und so ist es auch wichtig, dass
wir das biblische Konzept der Gottesebenbildlichkeit aller Menschen
nutzen, und klarstellen, dass allen Menschen dieser Wert zugesprochen
werden muss, weil er von Gott gewollt und geschaffen ist. Auch wenn
ich den Ausführungen von Groothuis zu seiner gleichmacherischen
(„egalitarian“) Sichtweise in Bezug auf Mann und Frau nicht
zustimmen kann, ist dieses Kapitel dennoch eine große Ermutigung zur
Überwindung von Rassismus und Unterdrückung in jeder Form.
Das zehnte Kapitel,
„Wahre Schönheit – die Herausforderung an die Postmoderne“
(S. 239 - 262), ist für mich persönlich der Höhepunkt des Buches.
Besonders da ich seit Langem denke, dass in unserem Evangelikalismus
der Kunst ein viel zu geringer, oft auch belächelter oder gar
abgelehnter Platz zugewiesen wird, bin ich den Ausführungen von
Groothuis mit großer Freude gefolgt. Dies ist mit ein Kapitel, in
dem deutlich wird, wie stark der Autor von Francis Schaeffer
beeinflusst ist, nicht nur, indem er Schaeffers Buch „Art and the
Bible“ mehrfach zitiert, sondern besonders auch, indem er
Schaeffers Gedanken aufgreift und sie selbständig weiterdenkt. Er
gibt uns eine biblische Sicht auf die Kunst, die uns hilft, alle
Kunst zu beurteilen. Da jedes Medium eine Botschaft an sich enthält,
muss auch diese Botschaft geprüft werden. Und dass Kunst ein Medium
ist, welches Inhalte übermitteln möchte, wird wohl kaum jemand
bestreiten können. Groothuis gibt uns sieben wertvolle Gedanken zur
Kunst:
1. Gott schuf die Welt
nach Seinem Willen und Design und erachtete sie als „gut“ -
bereits bevor der Mensch geschaffen war. Ästhetik ist in dem Sinne
nichts individuelles, sondern von Gott erfunden und zu Seiner und
unserer Freude.
2. Gott schuf den
Menschen nach Seinem Bild – als Haushalter und „Miterschaffer“
unter Gottes Befehl.
3. Es gibt gute Gründe
dafür, dass Gott auch am ästhetisch (objektiv) Schönen Freude hat.
4. Die Tragödie kam in
die Welt, als die Menschen von der Schlange verführt wurden. Dennoch
bleibt der Mensch nach wie vor im Ebenbild Gottes geschaffen und kann
so auch Dinge erfinden und erschaffen. Doch auch die guten, von Gott
gegebenen, Gaben können missbraucht und gegen den Schöpfer und die
Schöpfung eingesetzt werden durch die Sünde.
5. In der Ästhetik
scheint die Transzendenz Gottes dennoch manchmal durch.
6. In der Schönheit, mit
der die Stiftshütte damals und später der Tempel gebaut werden
musste, zeigt sich Gottes Anliegen für die ästhetische Schönheit.
Objektiv künstlerischer Wert wurzelt in Gottes Inspiration für
dieses Werk. Sogar die Bauleute wurden noch besonders gesalbt für
die Schönheit ihrer Arbeit.
7. Ein biblisches
Verständnis der Kultur gründet sich darauf, dass die künstlerischen
Gegenstände in der zukünftigen Welt gereinigt und transformiert
sein werden. Dies sieht Groothuis zum Beispiel in Jesaja 60,5
begründet, wo mitten im Kapitel über die himmlische Stadt davon die
Rede ist, dass der „Reichtum der Nationen“ dort sein wird.
Das elfte und letzte
Kapitel, „Der Fixpunkt in einer postmodernen Welt“ (S. 263
– 280), handelt davon, dass in einer Welt, in der sich alles
bewegt, der einzige Fixpunkt die Wahrheit der Bibel sein kann.
Groothuis zitiert Blaise Pascals „Pensées“, wo dieser davon
schreibt, dass wenn jeder sich in Richtung des Verderbens bewegt,
sich niemand zu bewegen scheint, doch sobald jemand aufhören würde,
so erscheine er allen anderen plötzlich als der Fixpunkt. Hier sieht
Groothuis die Aufgabe des Christen. Er muss sich auf die Suche nach
der Wahrheit machen und dann in Liebe die Konfrontation suchen. Es
sei wichtig, dass wir die Lehre von der Berufung wieder entdecken
würden. Die Leute würden von ihren „geistlichen Lebensstilen“
und „religiösen Vorlieben“ sprechen, statt von ihren von Gott
festgelegten Pflichten, Verantwortlichkeiten und Privilegien. Der
Mensch steht im Zentrum statt Gott. Die Lehre von der Berufung
besagt, dass es keine Aufteilung zwischen dem Heiligen und dem
Weltlichen gibt. Für den Christen ist sein ganzes Leben heilig.
Christen sollen ihre Gaben entdecken und diese zu Gottes Ehre
verstärken oder verbessern. Dadurch sollen wir eine große Freude
entwickeln und es als Abenteuer sehen, nach Gottes Willen zu leben.
Im Appendix, „Fernsehen
– Vertreter der Wahrheitsauflösung“ (S. 281 – 295), folgt
eine Medienkritik im Stil von Marshall McLuhan, welcher dort auch
mehrmals zitiert wird. Warum hilft das Fernsehen, die Wahrheit
aufzulösen? Zunächst deshalb, weil im Fernsehen das Bild mehr Kraft
hat als das Wort. Das Bild beherrscht das Fernsehen. Es bringt viele
Eindrücke an den Sehenden heran, zu viele, um sie alle verarbeiten
zu können, und zu schnell, um dies zu tun. Fernsehen manipuliert den
Sehenden immer. Es gibt ihm das Gefühl, ein Geschehen miterlebt zu
haben, obwohl er nur eine manipulierte – gekürzte und somit
veränderte – Version davon gesehen hat. Fernsehen führt zu einer
Auflösung der menschlichen Identität. Der Mensch ist nicht mehr
selbst derjenige, welcher die Situation beurteilen kann, sondern ein
anderer hat sie zuvor schon beurteilt und schickt dem Zuschauer die
bereits beurteilte und so veränderte Version ins Haus. Nicht zuletzt
bringt das Fernsehen dem Menschen auch eine gefälschte Welt ins
Haus, in der alles fragmentiert (aufgesplittert) ist. Zudem fordert
es vom Zuschauer, immer „up to date“ zu sein, und nimmt ihm
dadurch Zeit, um sich tatsächlich mit der Wahrheit
auseinanderzusetzen. Groothuis empfiehlt jedem, eine Zeitlang
Fernseh-Fasten zu machen (mindestens eine Woche lang) und sich dabei
zu überlegen, was sich in der Zeit für ihn ändert. Da ich sowieso
kein Fernsehen habe, überlege ich mir, dies mit dem Internet zu
machen.
Das Buch ist sehr
lesenswert. Es braucht – wie eingangs geschrieben – eine gewisse
Zeit zum Verdauen, aber das ist es mehr als Wert. Da das Buch 2000
geschrieben wurde, nimmt das Internet nur sehr geringen Platz ein.
Ich würde mir wünschen, dass dies in einer erweiterten Ausgabe auch
noch aufgenommen würde. Insbesondere der Wandel von Web 1.0 zu Web
2.0 hat auch in unserer Gesellschaft große und spürbare
Veränderungen hinterlassen. Außerdem vermisse ich ein
Literaturverzeichnis. Die Bücher sind in den Fußnoten beim ersten
Auftreten vollständig angegeben, aber das Fehlen des gesamten
Verzeichnis macht das Suchen etwas umständlich. Oder bin ich da
schon zu faul und postmodern?
Wer sich mit dem Thema
der Postmoderne oder dem Bezeugen der biblischen Wahrheit in unserer
Zeit beschäftigt, dem möchte ich das Buch ans Herz legen.