In diesem ersten
Hauptteil erzählen die Autoren von ihrem Erleben als Hauptamtliche
im Dienst von Gemeinden: Pastoren, Jugendleiter, ein ehemaliger
Direktor der Vineyard-Gemeinden der USA berichten, wie sie dazu
gekommen sind, die traditionelle Art von Gemeinde zu hinterfragen.
Sie stellen viele gute Fragen – ob die Antworten, die sie zu geben
versuchen, ebenso gut sind und zu befriedigen vermögen, werden wir
noch sehen.
Spencer Burke – Vom
dritten Stock in die Garage
Er war ein Pastor einer
Megachurch mit 4500 erwachsenen Gottesdienstbesuchern auf dem Gelände
und 10'000 Leuten, die insgesamt an den regelmäßigen Programmen
teilnahmen. Burke beschreibt diese Zeit und seine Gedanken dazu
folgendermaßen:
Try
as I might, I'm troubled by things like the parking lot ministry.
Helping well-dressed families in SUVs find the next available parking
space isn't my spiritual gift. To be perfectly honest, I'm not even
comfortable with some of the less sensational aspects of
evangelicalism. Three-point-sermons, four-law gospel presentations
and 10-step discipleship programs have never rung true to me. And yet
during my seminary education, to suggest anything else was heresy. To
dare question my alma mater's premillennial, pretribulation doctrinal
position, for instance, was to risk expulsion at worst and public
humiliation at best. So like all the other students, I bought in. I
read all the right books, went to all the right conferences, and said
all the right things. For years I played by the rules and tried hard
not to think about the lingering questions of my soul. Doubt, after
all, is dangerous. Who knows where it might lead? (S. 28)
Zwei Punkte möchte ich
davon kurz aufgreifen, in denen ich Burke unbedingt zustimmen muss.
Das Eine sind diese 10-Punkte-Programme (und wegen mir auch die
Drei-Punkte-Predigten). Das ist nun mal einfach eine viel zu starke
Vereinfachung, wenn wir versuchen, jedem unsere Programme
aufzuzwingen. Auch die Anzahl der Punkte einer Predigt kann nicht von
vornherein vorgeschrieben werden, sie ergibt sich aus dem Text, der
ausgelegt werden soll. Eine zweite wichtige Frage betrifft den Umgang
mit Zweifeln. Mir ist auch schon öfter aufgefallen, dass in der
evangelikalen Welt die Zweifel per se als etwas Schlechtes betrachtet
werden. Zu lange haben so viele junge Menschen versucht, ihre Zweifel
zu unterdrücken, statt sich fair, kritisch und aktiv mit ihnen zu
beschäftigen. Leider fallen viele Vertreter der Emerging Church auf
der anderen Seite vom Pferd: Sie verlangen, dass ständig alles immer
wieder erneut in Zweifel gezogen wird, sodass es überhaupt keine
sichere, unbezweifelbare Grundlage mehr geben kann. Auch dieser
Umgang mit Zweifeln, der das Zweifeln schon beinahe vergötzt, ist
nicht gesund.
Burke hat dann seinen Job
als Pastor aufgegeben und sich in eine alte Garage zurückgezogen.
Dies geschah, nachdem er ein spezielles Erlebnis hatte. Er war auf
einer Retraite mit Brennan Manning, der ihm sagte, er solle in dieser
Zeit keine Bücher lesen – auch nicht die Bibel. In dieser Retraite
hatte er eine Art der Begegnung mit Jesus, der ihn einfach festhielt
und ihm half, sich verstanden zu fühlen. Dort lernte er
„kontemplative Spiritualität“ kennen, woraufhin er sich von
seiner Gemeinde trennte und in der Garage zu arbeiten begann. In
dieser Garage hat er 1998 die Webseite mit dem Forum und dem
Online-Magazin „TheOoze.com“ gegründet. Dies ist eine Art
Webseite, wo sich Menschen aus allen möglichen Hintergründen,
Religionen und Ideologien trafen und sich über ihre Formen der
Spiritualität unterhielten. Seit 2012 ist diese Seite down – ohne
eine öffentliche Begründung. 2001 hat er mit anderen Mitgliedern
des Forums TheOoze ein sogenanntes „Potlatch“ durchgeführt. Das
ist ein Fest, bei dem es um das Verschenken geht. Besser gesagt, es
ist ein altes indianisches Ritual, das sehr eng mit dem indianischen
Animismus (Glaube an Seelen, Ahnen und Geister, die einen umgeben).
Nach und nach wurde Burke immer mehr zu einem Panentheisten (ein
Panentheist glaubt, dass Gott in allem ist). Burke sucht also auch in
fremden Religionen nach einer Begegnung mit Gott. Damit überschreitet
er klar die Linie, die Jesus uns gegeben hat: Jesus spricht zu
ihm: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt
zum Vater als nur durch mich! (Johannes 14,6). An dieser Stelle
muss man sich fragen, was das für ein Jesus gewesen sein muss, der
Burke damals begegnet ist. Alle diese Begegnungen – und ja, es gibt
wirklich echte Jesus-Begegnungen!!! - müssen beurteilt werden nach
Galater 1,8-9: Aber selbst wenn wir oder ein Engel vom Himmel euch
etwas anderes als Evangelium verkündigen würden als das, was wir
euch verkündigt haben, der sei verflucht! Wie wir es zuvor gesagt
haben, so sage ich auch jetzt wiederum: Wenn jemand euch etwas
anderes als Evangelium verkündigt als das, welches ihr empfangen
habt, der sei verflucht!
Burke macht den
traditionellen Gemeinden drei Vorwürfe:
1. „Geistlicher
McCarthyismus“ → Damit meint Burke, dass man sich den Pastor
oder andere Pastoren zu Götzen macht: „Call me crazy, but it
seems like many of my church friends live on every word that proceeds
from the mouths of the evangelical öeaders of the world more than on
every word that proceeds from the mouth of God.“ (S. 31)
2. „Geistlicher
Isolationismus“ → Damit meint Burke, dass man sich immer mehr
in die Gemeinden abschottet und nichts mehr mit dem Rest der Menschen
zu tun haben will – man isoliert sich.
3. „Geistlicher
Darwinismus“ → Damit meint Burke, dass alles nach dem Motto
läuft „größer ist besser“: „Pastoral credibility had
everything to do with a big budget they had and how many worshipers
came to the Sunday event.“ (S. 34)
Diese drei Dinge stelle
ich in unseren Gemeinden auch immer wieder fest. Beim ersten Punkt
kann ich mit Burke nicht ganz mitgehen, dass er jede Art von
Hierarchie und unterschiedlicher Verantwortlichkeit in den Gemeinden
anprangert, aber es ist ganz wichtig, zu sehen, dass es das Extrem
recht häufig gibt, dass man versucht ist, geistliche Leiter an die
Stelle zu rücken, die nur Gott allein zusteht.
Ein letzter Punkt zu
Burke: Er kommt kurz auf das Thema Kunst / Kultur und Gemeinde zu
sprechen. Burke war Künstler (Maler) und Pastor zugleich: „When
the gallery folks found out I was a pastor, they were stunned.
Likewise, my friends at church struggled to understand the arts
community I belonged to. If the acquaintances I'd made in both these
circles were to wind up in the same room, they wouldn't have anything
to say to each other.“ (S. 33/34)
Das ist sehr schade, und
ich frage mich, ob es in unseren Gemeinden auch so wäre. Gott hat
die Schönheit geschaffen und uns die Kunst gegeben, um Ihn sichtbar
zu machen. Ich bin dankbar, dass es hier langsam ein Umdenken in
manchen Gemeinden gibt. Wir können aber noch einiges mehr tun, um
echte Schönheit zu erkennen, zu würdigen und zu verbreiten.
Todd Hunter – Ins
Gespräch einsteigen
Nach einer kurzen
Einführung in sein Leben als Gemeindegründer und später nationaler
Direktor der Vineyard USA berichtet Hunter von einem Gespräch bei
einem Treffen mit jungen Leitern von Gemeinden. Dort wurden plötzlich
neue Fragen gestellt: „Gibt es überhaupt Wahrheit?“ - „Wie
kann man sie kennen, wenn wir Menschen doch fehlbar sind?“ - „Wie
sicher können wir über die Wahrheit sein?“ - „Ist Wahrheit in
sich selbst einfach gut?“
Todd hat daraus seine
Schlüsse gezogen: „Your systems are perfectly suited to yield
the results you are now getting.“ (S. 45) Somit verließ er das
System der Vineyard-Gemeinden und machte sich auf die Suche. Dies
machte ihn zu einem „Postreduktionisten“, also jemandem, der
sagt: Fakten und Glaubensbekenntnisse sind gut, aber sie sind zu sehr
reduziert, zu sehr zusammengestaucht, und komprimiert. Deshalb ist
der Post-Reduktion-ismus die Folge dieser Entwicklung. In manchen
Dingen kann ich ihm durchaus zustimmen, besonders in seiner Kritik an
manchen Evangelisationsmethoden: „Salvation, as normally
understood outside the context of the whole story
(say-a-prayer-so-that-when-you-die-you-can-go-to-heaven), lacks the
power to be compelling. The reductionist version was never right or
true.“ (S. 49) Leider muss ich auch hier sagen, dass Hunter –
so sehr ich ihm in dieser Aussage zustimmen muss – seine
Hausaufgaben sehr schlecht gemacht hat. Natürlich ist diese Art der
„Bekehrung“ verbreitet – aber sie wird nicht in ihren Kontext
oder in ihre Geschichte eingebunden. Sie ist eine sehr späte
Erfindung und hat den größten Teil der Kirchengeschichte gegen sich
stehen.
Hunter macht daraufhin
klar, dass der Postmodernismus eine bestimmte Weltanschauung ist. Er
versucht, so sagt er, hinter die Weltanschauung zu kommen: „We
are Christ-followers before we are a worldview.“ (S. 50) Das
Unterfangen finde ich gut – allerdings zeigen die folgenden Seiten,
auf denen er seine Sicht zum Thema „Was ist Wahrheit?“ darlegt,
dass sein Denken ziemlich stark vom Postmodernismus geprägt ist.
Tony Jones – In
Richtung eines missionales Dienstes
Sie hatten ein Konzert
mit einer bekannten Band organisiert. Tony Jones war der Organisator.
Er war Jugendpastor einer größeren Gemeinde. So lernte er das
Showbusiness kennen: Nachdem die Band bei ihnen gespielt hat, spielte
sie am nächsten Tag in derselben Stadt in einer anderen Gemeinde –
für einen Fünftel der Gage, die Jones ihnen gegeben hatte. Das
führte dazu, dass Jones mit Nachdenken begann. So begann er immer
mehr zu hinterfragen.
Die Frage, die sich Jones
jetzt hauptsächlich stellt, ist die: Wie können wir die Mission
leben? Er kommt zu vier Punkten, die ihm wichtig sind:
1. Pastorale Fürsorge
→ Für die anderen da sein. Etwas zusammen unternehmen, zusammen
reden, etc.
2. Theologische
Reflektion → „We're called to help our students see the
events of this world, those that fill us with hope and those that
fill us with despair, from this side of Easter – to view the world
through an empty tomb.“ (S. 71)
3. Kontemplatives
Gebet → Dabei geht es Jones vor allem um das Erleben der Stille
in einer Zeit, die durch stetigen Lärm und Ablenkung geprägt ist.
4. Intergenerationelle
Gemeinschaft → Vielfalt leben durch viele Menschen
unterschiedlichen Alters, Herkunft, sozialen Stands, etc.
Nun gut, so weit finde
ich nichts, was man in traditionellen Gemeinden nicht auch finden
könnte. Den Begriff „kontemplatives Gebet“ finde ich allerdings
etwas bedenklich, da er aus dem Bereich des Mystizismus kommt.
Chris Seay – Ich
habe den Glauben meiner Väter geerbt
Sein Großvater war ein
Erweckungsprediger und Pastor einer wachsenden Gemeinde. Er selbst
sieht sich als „Postrevivalist“ - man merkt hier schon, dass
diese postmodernen Emerger die Vorsilbe „post“ mehr als lieben.
Er sagt, dass eine Erweckung nur da möglich sei, wo es noch eine
kleine Flamme des Glaubens gebe, die man wieder entfachen könne. Das
habe sich inzwischen geändert. Er habe von seinem Opa und seinem
Vater nur die allerwichtigsten „essentials“ des Glaubens
übernommen und sei jetzt das, was nach der Erweckung käme, nämlich
dann, wenn keine Erweckung mehr möglich sei. Für ihn ist der Pastor
in diesem neuartigen Setting nur noch ein Geschichtenerzähler, weil
Geschichten das Einzige seien, was die postmodernen Menschen ins
Leben hinein sprechen könne. Er schreibt:
In
the modern context the church ignored biblical narrative and
complexity, instead reducing the gospel to a set of propositions
(„All you have to do is pray these statements, ask Jesus to come
into your heart, and you're done“). But if that's all the gospel
is, then all we need to do is wage a kind of air campaig, dropping
propositions on individuals. As long as they buy the propositions,
they're converted. We never really have to meet or know them.
Unfortunately, that's exactly what a lot of evangelism has resembled
in the modern era. And it doesn't work anymore. We don't talk about
the whole of life because – you've heard it before - „the
supermarket does the food, the politicians do politics, Hollywood
does entertainment, and the church does the soul.“ We're left with
a disembodied little chunk.“ (S. 80)
Streng genommen muss man
sagen, dass das, was Seay hier kritisiert, noch nie funktioniert hat.
Auf diese Weise ist es auch keine Kritik an der echten
Evangelisation, die es schon immer gegeben hat.
Im Rest seines Berichtes
geht Seay auf drei Arten des Denkens ein: Lineares Denken, zirkuläres
Denken und netzähnliches Denken. Er schreibt dem Römerbrief das
Erste zu, dem Buch Prediger das Zweite und dem Buch der Sprüche das
Dritte. Seine Begründungen sind allerdings sehr weit an den Haaren
herbeigezogen.
Chuck Smith, jr. -
Aber kommen wir denn von hier nach dort?
Gut – ich muss zugeben,
Chuck Smith hatte bei mir schon mit seiner Einleitung fast verspielt,
in der er sich über den Predigtstil von Jonathan Edwards auf eine
Weise lustig macht, die deutlich zeigt, dass er von jenem nicht mehr
weiß als in dem kurzen Abschnitt über die große Erweckung in den
Schulbüchern. Ich möchte Chuck Smith an dieser Stelle empfehlen,
noch einmal über die Bücher zu gehen und zu sehen, was wir heute in
der Postmoderne von Edwards lernen können. Das ist nicht gerade
wenig.
Jedenfalls beschreibt
Smith seinen früheren Predigtstil als manipulativ und immer negativ
auf den Sünden der Zuhörer herumreitend – bis eines Tages John
Wimber kam und ihn fragte, was er damit bezwecke. Von jenem Moment an
war sein Ziel nur noch, dass die Zuhörer sich gut fühlen sollten.
Nun, man kann sich trefflich darüber streiten, ob das wirklich
besser ist oder ob er bloß auf der anderen Seite vom Pferd gefallen
ist. Möge dies der Leser selbst entscheiden.
Auf jeden Fall begann er
und seine Gemeinde daraufhin, sich mit der umliegenden Kultur zu
beschäftigen und er stellte fest, dass seine Predigten bis dahin für
jene unverständlich waren. Er sagt dazu etwas Wertvolles: „The
challenge, as it's always been, is to get to know the dominant
culture and to retool our church so that it can effectively be light
and salt in a postmodern world.“ (S. 97)
Damit sagt er etwas
Wichtiges. Was wir brauchen, ist das Wissen um die vielen Ideologien
und Weltbilder, die herumgeistern. Wir brauchen die Fähigkeit, zu
unterscheiden, was an einewm Weltbild stimmt und wo es Gottes Wort
widerspricht und wie wir diesen Widerspruch so ausdrücken können,
dass er verstanden wird.
Eine Schlacht um leere
Worthülsen
Was mir immer wieder
auffällt, ist, dass sich die Autoren dieser Geschichten nicht
trauen, bestimmte Ausdrücke klar zu definieren. Es bleibt alles
vage, undeutlich und unverbindlich. Jeder darf sich darunter
vorstellen, was ihm behagt. Was ist genau das Evangelium? Es wird von
Gospel, Good News, Salvation, Kingdom of God gesprochen, aber niemand
definiert diese Ausdrücke. Es werden immerzu nur die
„traditionellen“ Definitionen davon durch den Kakao gezogen, ohne
eine tatsächlich befriedigende Antwort zu geben, was es denn nun
sein soll.