Ich
bin mir bewusst, dass der Titel etwas großspurig klingt.
Möglicherweise ist er auch zu großspurig. Ich halte mir damit die
Option offen, eines Tages sagen zu können: OK, da hab ich
übertrieben, aber zumindest habe ich versucht, ein notwendiges
Korrektiv in die Diskussion einzubringen. Manchmal ist Übertreibung
ein Hilfsmittel, das uns zusammen mit der Vereinfachung komplexe
Zusammenhänge besser sehen lässt.
Bevor
ich fragen möchte, wo wir als westliche Gesellschaft insgesamt
stehen, möchte ich innehalten und fragen, wo ich stehe. Ich bin ein
Nachpostmoderner. In der Postmoderne bin ich aufgewachsen und dann
ist sie gestorben. Für mich und eine große Mehrheit der
Gesellschaft. Wir stehen jetzt in der Nachpostmoderne. Eine
Seifenblase ist geplatzt und hat ein ganzes Weltbild mit in den
Abgrund gerissen.
Moment
mal, werden jetzt manche einwerfen, die Postmoderne hat sich gerade
durch die Kritik des Weltbildismus ausgezeichnet! Das stimmt, aber
nur bedingt. Nicht nur in der Kritik bestehender Weltbilder, sondern
auch in weiteren Aspekten hat sie wiederum neue Weltbilder
geschaffen. Sie hat nicht nur Ideologien kritisiert, sondern mit
dieser Kritik im Grunde neue Ideologien hergestellt. Auch das war ein
Grund, weshalb sie total gescheitert ist. Sie hat sich selbst
widerlegt. Sie ist von ihren Kindern gefressen worden. Sie hat –
philosophisch gesprochen – Suizid begangen, indem sie sich Stück
für Stück aufgefressen und von innen nach außen gestülpt hat.
Für
manche Denker muss ich spätestens jetzt noch eine Frage beantworten:
Gab oder gibt es tatsächlich so etwas wie die Postmoderne? Oder ist
die Postmoderne einfach eine extreme Ausprägung der Spätmoderne? In
der Tat gibt es für beide Sichtweisen gute Argumente. Grundsätzlich
stellt sich da die Frage, ab welchem Moment der Veränderung es
berechtigt ist, einen neuen Begriff einzuführen. Man könnte auch
problemlos dafür plädieren, dass es nie eine Aufklärung gegeben
habe, sondern diese lediglich ein Ausdruck des Spätmittelalters
gewesen sei. Insofern ist jeder neue Begriff, der eine Zeit
bezeichnet, eine künstliche (aber oft hilfreiche) Unterscheidung.
Wir könnten uns heute spätspätspätmittelalterlich nennen. Die
Frage ist nur: Was bringt das? Postmodernismus ist in dem Sinne aber
auch keine eigene Epoche; den Begriff der Epoche sollten wir etwas
weniger inflationär gebrauchen. Die Postmoderne war ein kurzes
Interludium; eine Sackgasse, aus der wir nun wieder herausfinden
müssen.
Verzweiflung
hat zur Postmoderne geführt und Verzweiflung ist, was bleibt, da sie
nun von uns geschieden ist. Sie hat versucht, ein Korrektiv zum weit
ausgeschwungenen Pendel der Moderne zu sein, indem sie nicht nur
gebremst hat, sondern das Pendel zerstören wollte. Der Optimismus
der Moderne, die Allmacht des Menschen hat in zwei unvorstellbar
schrecklichen Weltkriegen tödliche Kernexplosionen abbekommen. Die
Moderne hat den Menschen mit seiner Vernunft und deren sichtbarem
Ausdruck in Sprache, Schrift und der ganzen Kultur vergötzt. Wohin
diese Vergötzung geführt hat, ist in einer großen Menge des Leids
in dieser Welt sichtbar geworden. Anstatt die Kultur in gute Bahnen
zu führen, war die Verzweiflung zu groß und hat in der Postmoderne
versucht, die Kultur zu überwinden. Alle Errungenschaften der Kultur
wurden unter Generalverdacht gestellt und konstruktivistisch
zerstört.
Damit
wären wir beim Herzstück des postmodernen Weltbilds angelangt.
Alles, was in der Moderne wichtig oder wertvoll war, durfte nur dem
einen Zweck gedient haben, um die Mächtigen an der Macht zu halten.
Die Sprache muss von Grund auf verdächtigt werden, denn sie sei ja
schließlich von einer patriarchalischen Gesellschaft entwickelt und
raffiniert angepasst worden. Das geschichtliche Denken muss unter
Verdacht gestellt werden, weil Geschichte immer aus der Sicht der
Siegermächte interpretiert werde. Die Logik und Vernunft haben zu
Massenvernichtungswaffen geführt, weshalb sie suspekt sind. Was
bleibt, ist eine romantische Innerlichkeit, eine relativistische
Haltung gegenüber allen Absoluten außer dem Relativismus selbst.
Vergessen ist plötzlich, wie nicht nur die Vernunft zum „Dritten
Reich“ geführt hat, sondern in erster Linie eine solche
romantische Innerlichkeit, die sich mit den Begriffen des Volks und
der Rasse aufgeladen haben. Hitler war ein Mensch, der von Gedanken
der Romantik geformt war und zudem das Unglück hatte, in einer Zeit
und Gesellschaft zu leben, in welcher die Vernichtungswaffen so weit
entwickelt waren. Dabei darf jedoch die Romantik keinesfalls
abgewertet werden. Sie hat in vielen Aspekten zu einer geistigen und
auch geistlichen Befruchtung der Gesellschaft geführt. In der
affirmativ-kritischen Auseinandersetzung mit der Romantik lässt sich
eine Menge für unsere Zeit lernen. Doch Geschichtsvergessenheit im
Zusammenspiel mit neuen Absoluta wie des ethischen Relativismus und
einer falsch verstandenen Toleranz ergeben eine explosive Mischung.
Und
genau hier setzt die wichtigste Frage unserer Zeit an: Wohin
schreitet der Westen nach dem Tod des Postmodernismus? Wir leben in
dieser spannenden Zeit, in welcher neue Weichen gestellt werden. Es
ist eine Zeit der Verzweiflung und Verwirrung, in welcher der
Durcheinanderbringer viel Macht hat, es sei denn, das Christentum
wird sich wieder bewusst, dass es eine Gegenkultur zu dieser
Verzweiflung und Verwirrung sein soll. Ebenso klar ist aber auch,
dass die Welt keine Antworten auf diese verwirrende und Verzweiflung
fördernde Zeit finden wird, bis sie diese vom Christentum bekommt
und dadurch verändert wird. Das ist möglich, denn es gab diese
Zeiten auch schon mehrfach. Diese nennt man auch Erweckungen.
Das
Gefährliche an unserer Zeit ist, dass viele Christen hoffen, dass
die Welt ihnen die Antworten geben kann. Man schaut mit Hoffnung auf
die Wahlen und Parteien und sucht so, Einfluss zu nehmen. Zugegeben:
Es gab schon vereinzelt Zeiten, in welchen das eine gute Möglichkeit
war. In unserer Zeit sind sich jedoch nicht einmal die Personen
innerhalb einer Partei einig, worin das Problem besteht und wie es
gelöst werden kann. Noch nicht einmal in groben Zügen. Geschweige
denn, dass sie das Problem richtig erkennen.
Wir
haben gesehen, dass wir in einer explosiven Zeit leben. Inzwischen
hat die Industrie die Massenvernichtungswaffen weiter verfeinert,
ausgebaut und aufgerüstet. Es herrscht Verzweiflung und Verwirrung.
Geschichtsvergessenheit vermischt sich mit einem romantischen
Verständnis einer verabsolutierten Toleranz und ethischem
Relativismus. In gewisser Weise ähnelt unsere Zeit den Jahren nach
der französischen Revolution. Damals war die Monarchie abgeschafft
und eine Art Anarchie herrschte, also der Stärkere gewinnt. In
unserer Zeit ist es auf geistiger Ebene ähnlich. Die Monarchie der
Sprache und des Verstandes ist abgelöst, es herrscht die Anarchie
des Relativismus. Der Stärkere gewinnt – wobei das gewissermaßen
umgekehrt ist. Jetzt gewinnt der Schwächere, wenn er mehr
Diskriminierungen vorweisen kann, wodurch er dann wiederum
paradoxerweise zum Stärkeren wird.
In
dieser Zeit kann uns nur noch Gott allein vor der entfesselten Gewalt
bewahren. Wie im Zuge der Nachwehen der französischen Revolution
werden Stimmen nach einer starken Führung laut. Auch in der Weimarer
Republik war es lange Zeit geradezu spürbar, dass da ein Brausen und
Umsturz der Lage kommen musste. Was heute mehr denn je nötig ist,
sind Christen, die zusammenstehen, beten und eine Gegenkultur der
Hoffnung und Ermutigung in dieser Zeit der Verzweiflung und Verwirrung
bilden. Die Rettung wird nicht von der Politik kommen (und da bin ich
wohl der Letzte, der die Politik als unwichtig abtun würde). Es ist
wichtig, dass Christen sich an der Politik beteiligen, aber dadurch
wird keine Rettung kommen. Die Rettung wird auch nicht durch Murren
über die momentane Situation kommen, auch nicht durch Anpassung an
die Welt, sondern einzig und allein durch Gottes gnädiges Eingreifen
– oder gar nicht.
Ich
glaube an Gottes Eingreifen und möchte zum Schluss noch ganz kurz
ein paar Schritte auf einem gangbaren Weg dorthin beschreiben. Ich
möchte die Herangehensweise dazu „gesunden kritischen Realismus“
nennen. Realismus bedeutet, dass es „da draußen“, also außerhalb
von uns, eine tatsächliche Realität gibt, die man adäquat
wahrnehmen kann. Kritisch deshalb, weil wir nicht davor gefeit sind,
Irrtümern auf den Leim zu gehen und auch weil wir nicht alles, was
in der Realität vorhanden ist, mit unseren fünf Sinnen wahrnehmen
können. Das erklärt auch den Begriff „gesund“, weil dieser
kritische Realismus die Möglichkeit der unsichtbaren Welt und von
tatsächlichen, echten Wundern mit einschließt.
Ein
solcher gesunder kritischer Realismus ist deshalb der „dritte Weg“,
den es nebst dem reinen Materialismus und einem subjektiven
Idealismus gibt. Dieser dritte Weg geht von davon aus, dass die Bibel
tatsächlich Gottes Wort ist und deshalb über dem Menschen und
seiner Erfahrung steht. Sie ist somit der Referenzpunkt, an dem sich
alles Wissen, Erkennen und Handeln objektiv ausrichten kann. Das
bedeutet aber auch, dass Christen der Bibel und dem Gott der Bibel
vertrauen dürfen und mit dem Selbstverständnis dieses Vertrauens in
die Welt hinausblicken. Wichtig ist dabei, dass wir wieder viel Wert
auf die gesunde Lehre, auf Apologetik und ein erneuertes bibeltreues
Denken und Philosophieren legen. Der evangelikale
Anti-Intellektualismus hat viele Probleme verursacht. Ebenso der
Versuch, unterschiedliche inhaltliche Positionen durch den Wortlaut
offizieller Dokumente zu „versöhnen“, indem Unterschiede so
lange sprachlich mit der Dampfwalze geplättet werden, bis sich alle
Parteien verstanden fühlen können.
So
dürfen wir mit Mut und einem festen Standpunkt als Christen in die
Welt schauen, gehen und sprechen. Wir haben eine prophetische Aufgabe
– was immer kommen mag. Wir dürfen Gott um ein Eingreifen bitten.
Wir dürfen die absolute Wahrheit, Fehlerlosigkeit und Autorität von
Gottes Wort festhalten und als Referenzpunkt für die Beurteilung der
Welt gebrauchen. Wir dürfen die Hoffnung weitergeben, dass dieses
Leben auf der Erde nicht alles ist, sondern dass der Herr Jesus als
gerechter Richter wiederkommen wird und es nach diesem für alle, die
Ihm nachfolgen, ewige Gemeinschaft in der Herrlichkeit Gottes gibt.
Gerade deshalb ist es für jeden einzelnen Menschen wichtig, diese
Botschaft von Jesus Christus in diesem Leben auf der Erde zu hören
und darauf zu reagieren, denn danach wird es für alle Ewigkeit zu
spät sein.
Und
dann brauchen wir ganz dringend christliche Bildung. Kindergärten,
Schulen, Gymnasien, Universitäten. Wir
dürfen dieses Feld niemals den Vertretern der atheistischen
Ideologie überlassen. Unsere Kinder sind unsere Zukunft. In Jesus
sind alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis verborgen, und ohne
Ihn kann diese niemand bergen. Wahre Erkenntnis kann nur von Ihm
ausgehen. Dafür wollen wir kämpfen. Bis zum letzten Atemzug.
Nancy Pearcey hat dazu geschrieben:
„Wir müssen
sichergehen, dass, wenn unsere Kinder das Haus verlassen, dieselbe
Überzeugung tief in ihr Gedächtnis eingebrannt ist – dass das
Christentum fähig ist, wenn es auf dem Marktplatz der Ideen
herausgefordert ist, in sich zu verhalten. Es reicht nicht, junge
Gläubige einfach zu lehren, wie man eine persönliche „Stille
Zeit“ hält, wie man ein Bibellernprogramm befolgt und wie man mit
einer christlichen Gruppe auf dem Campus Verbindung aufnimmt. Wir
müssen sie auch darin anleiten, wie man auf intellektuelle
Herausforderungen antwortet, die ihnen im Schulzimmer begegnen
werden. Bevor die das Haus verlassen, sollten sie mit all den
„-ismen“ wohlbekannt sein, vom Marxismus zum Darwinismus bis zum
Postmodernismus. Es ist am besten für junge Gläubige, wenn sie von
diesen Ideen zuerst von den vertrauten Eltern, Pastoren oder
Jugendleitern hören, welche sie in den Strategien trainieren können,
um die konkurrierenden Ideologien analysieren zu können.“
(Pearcey, Nancy, Total Truth, S. 125, Übersetzung von mir)