Im
zweiten Teil (hier
geht es zu Teil 1 / Teil 3 / Teil 4) zur Besprechung von Siegfried Zimmers Buch
„Schadet die Bibelwissenschaft dem Glauben?“ möchte ich auf die
Zimmer'sche Polemik gegen das „fundamentalistische
Bibelverständnis“, wie Zimmer das nennt, eingehen. Diese lange und
komplexe Umschreibung ist der Versuch, das „böse“ Wort
„Fundamentalismus“ zu relativieren, ohne darauf verzichten zu
müssen. An dieser Stelle lasse ich den Begriff an sich mal so
stehen, auch wenn ich damit nicht glücklich bin. Es gibt, wie
gesagt, genügend gute Literatur zum Thema.
Wo
geht der Riss tatsächlich durch?
Schon
im Vorwort beschreibt Zimmer einen Riss, der durch die Christenheit
geht. Die große Frage ist deshalb, wo dieser Riss hindurchgeht. Und
da haben wir ein Problem, denn Zimmer definiert diesen Riss an die
falsche Stelle. Zimmer schreibt: „Diese Unterscheidung zwischen
dem Rang Gottes und dem Rang der Bibel lehnt die fundamentalistische
Theologie ab.“ (S. 22) Mit anderen Worten: Für den
Fundamentalisten ist die Bibel gleich Gott. Diesen Vorwurf wiederholt
Zimmer später übrigens mehrmals.
In
einem späteren Kapitel finden wir korrekt die drei Autoritätsebenen
aufgelistet:
„1.
Ebene: Die Autorität des dreieinigen Gottes
2.
Ebene: Die Autorität der Heiligen Schrift
3.
Ebene: Die Autorität der Kirche“ (S. 51)
Kaum
ein ernsthafter Theologe würde diese drei Ebenen abstreiten. Doch
genau den Vorwurf macht Zimmer den „fundamentalistischen“
Theologen: Für sie gebe es nur auf der ersten Ebene Gott und die
Bibel und auf der zweiten Ebene die Kirche. Der eigentliche Riss –
das, was Zimmer entweder nicht zu verstehen scheint oder nicht
verstehen will – geht durch die Konsequenzen, die sich aus diesen
drei Ebenen ergeben, weshalb die ersten Kapitel des Buches
letztendlich nichts als leere Rhetorik sind, mit welchen Zimmer
versucht, seinen fundamentalistischen Strohmann zu zerstören.
Für
den historisch-kritischen Theologen bedeuten diese drei Ebenen, dass
sich die Kirche (oder der Theologe) über die Bibel stellen darf, wo
er von Gott beabsichtigte Widersprüche oder Fehler zu sehen meint,
während der bibeltreue Theologe unter dem Wort Gottes, nämlich der
Bibel, bleibt und davon ausgeht, dass sich solche Fälle durch
gründliches Studium innerhalb der Bibel auflösen. Der
historisch-kritische Theologe ist der Ansicht, er müsse mit seinem
Verstand (oder im Falle Zimmers mit seinem Jesus) gegen die Bibel
argumentieren (vgl. S. 96), während der bibeltreue Theologe bereit
ist, mit der ganzen Bibel auch mal gegen seinen Verstand oder gegen
ein fremdes Jesusbild zu argumentieren.
Eine
Frage der Demut
An
dieser Stelle kommt auch wieder die Frage nach der Demut auf. Was ist
die echte Demut Gott gegenüber? Ist es demütig, wenn ich eine Bibel
habe, die ich je nach meinem Gutdünken an jede beliebige Politik,
Ideologie und sonstige Gedanken anpassen kann? Ist es nicht vielmehr
demütig, die eine Bibel, die Gott uns geschenkt hat, ohne Wenn und
Aber zu nehmen und sie Gott gebrauchen lasse, um mich zu verändern?
Wenn die Bibel so schwach und biegsam ist, wie Zimmer das behauptet,
dann kann sie es mit meinem sturen Kopf nie und nimmer aufnehmen.
Zimmer
geht dann noch auf das Thema Vollkommenheit ein. Wenn wir davon
sprechen würden, dass die Bibel vollkommen sei, dann habe das keine
biblische Grundlage. Das Argument von Psalm 19,8 versucht er
folgendermaßen zu entkräften: „Das Wort [tamim] bezeichnet ein
Tier, das weder krank noch verstümmelt ist. Im Opferkult durften nur
gesunde Tiere verwendet werden (vgl. Lev 22,19ff). Das Gegenteil von
tamim bedeutet 'missgebildet, unvollständig' (vgl. Lev 22, 18-21; Nu
19,2). Es geht bei diesem Wort um Gesundheit im Sinne der
körperlichen Unversehrtheit, um die Vollständigkeit der
körperlichen Gliedmaßen.“ (S. 56) Das Problem ist nur: Wenn
das Wort auch auf die Bibel (Torah) angewandt wird, zeigt sich darin
das Scheinargument Zimmers gegen den Psalm. Wenn doch die Bibel
derart von Fehlern und Widersprüchen entstellt ist – und dies
angefangen mit der Genesis, welche bekanntlich ein wichtiger Teil der
Torah ist – so kann sich Zimmer keinesfalls auf seine Wortstudie
berufen, um den Psalm zu entkräften.
Die
Chicago-Erklärungen
Einen
nicht geringen Teil im Buch macht auch die Auseinandersetzung mit den
Chicago-Erklärungen aus. Was sind die Chicago-Erklärungen? Zimmer
erklärt: „Die 'Chicagoer Erklärungen' gelten international als
wichtigste Selbstdarstellung des neueren protestantischen
Fundamentalismus.“ (S. 100) Also anders gesagt: Weil es
international kein gemeinsames Bekenntnis der bösen Fundamentalisten
gibt, muss man halt zu dem greifen, was einem solchen vielleicht noch
am nächsten kommt.
Fakt
eins ist: Die Chicago-Erklärungen wurden von Theologen aus
verschiedenen Ländern erarbeitet. Fakt zwei ist: Trotzdem kamen die
allermeisten davon aus den USA und haben die Erklärungen im Kontext
der amerikanischen Theologie erarbeitet. Fakt drei: Hier in Europa
haben diese Erklärungen so gut wie nichts (mehr) zu sagen. Alle
bibeltreuen Ausbildungsstätten haben längst kürzere und an die
westeuropäische Theologie angepasste Glaubensbekenntnisse
erarbeitet.
Schauen
wir uns ein paar Kritikpunkte von Zimmer an. Die Chicago-Erklärungen
sind Bekenntnisse zur Bibel, aber keine vollständigen
Glaubensbekenntnisse, die die gesamte Dogmatik abdecken wollen. In
der amerikanischen Theologie ist das kein Problem, da gibt es eigene
Bekenntnisse zu allen möglichen Teilen der Dogmatik, in diesem
Kontext ist es somit kein Problem, im Bekenntnis zur Bibel nur
allgemein auf die Offenbarung Gottes in Jesus Christus einzugehen.
Das ist für Zimmer ein Problem (und ja, es ist tatsächlich eines in
Anbetracht unseres deutschen Kontextes). Ihm fehlt, dass man Jesus
Christus explizit den Vorrang vor der Bibel zuspricht. Darauf kann er
sich natürlich wie ein hungriger Löwe stürzen und darauf
herumreiten.
Zimmer
schreibt: „In den Chicagoer Erklärungen steht die Offenbarung
in Gestalt der Heiligen Schrift so sehr im Vordergrund, dass das
Spezifische der Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus nicht mehr
angemessen wahrgenommen und gewürdigt werden kann.“ (S. 102)
Einerseits hat er recht, dass man das noch besser hätte
herausarbeiten können oder sollen. Zugleich findet sich hier aber
auch wieder ein typisches Vorgehen von Zimmer: Zuerst definiert er,
wie stark man das Spezifische herausstreichen muss, um dann mit
seinem Maßstab den Wortlaut der Chicago-Erklärungen abkanzeln zu
können, er sei zu wenig stark.
Thomas
Schirrmacher beschreibt in der deutschen
Übersetzung, aus welcher übrigens auch Zimmer beständig
zitiert, das Anliegen der Chicago-Erklärungen mit folgenden Worten:
„Zentrales Anliegen des ICBI war es, eine
Hermeneutik zu formulieren, die sich einerseits von bibelkritischen
Positionen absetzt, andererseits aber auch von fundamentalistischen
Positionen, die wissenschaftliches Arbeiten an der Bibel
grundsätzlich verwerfen. Letzteres wird etwa daran deutlich, dass
der Wert von Textkritik, 'Gattungen', literaturwissenschaftlichen
Kategorien und historischem Wissen über die Welt für das Studium
der Bibel hervorgehoben wird.“ (Thomas
Schirrmacher, Bibeltreue in der Offensive, S. 10; s. im obigen Link)
Zimmer
schreibt dies zwar nirgendwo explizit, aber implizit lässt er den
Eindruck entstehen, dass fundamentalistische Theologen die
Gattungskritik ablehnen, denn er argumentiert für die (von allen mir
bekannten evangelikalen Theologen weitgehend akzeptierte)
Unterscheidung der verschiedenen Textgattungen. Auch hier ist er
einmal mehr dabei, seine fundamentalistischen Strohmänner zu
zimmern, um sie genüsslich zu zerhauen. Das sind alles Dinge, die
sein Buch unnötig aufblähen. Er schreibt: „Wer die Bibel ernst
nehmen will, muss auch die jeweilige Art der Sprache ernst nehmen. Er
muss die Unterschiede zwischen den verschiedenen Textsorten
beachten.“ (S. 135)
In
einem anderen Abschnitt, als Zimmer die fundamentalistische Theologie
mit derjenigen von Sekten (Zeugen Jehovas, Mormonen, Neuapostolische
Kirche) vergleicht und ihnen ein gleiches Bibelverständnis
unterstellt, nennt er die Inspirationslehre „Verbalinspiration“.
Interessanterweise distanziert sich die Chicago-Erklärung von der
Verbalinspiration zugunsten einer Personalinspiration. Das bedeutet:
Gott hat den Autoren der Bibel nicht Wort für Wort diktiert, was sie
schreiben sollen, sondern hat ihre Persönlichkeit inspiriert, sodass
sie das Richtige schreiben. Artikel VIII der Chicago-Erklärung
lautet: „Wir bekennen, dass Gott in seinem Werk der Inspiration
die charakteristischen Persönlichkeiten und literarischen Stile der
Schreiber, die er ausgewählt und zugerüstet hat, benutzte.
Wir
verwerfen die Auffassung, dass Gott die Persönlichkeit dieser
Schreiber ausgeschaltet habe, als er sie dazu veranlasste, genau die
Worte zu gebrauchen, die er ausgewählt hatte.“
(Chicago-Erklärung, Artikel VIII, s. Schirrmacher, Bibeltreue, S.
19)
Niemand
muss sich der Chicago-Erklärung anschließen oder sie in allen
Punkten gut finden. Vielmehr versteht sie sich als Einladung zur
Diskussion, und damit möchte ich diesen zweiten Teil auch beenden:
„Wir laden jeden ein, auf diese Erklärung zu reagieren, der im
Lichte der Schrift Gründe dafür sieht, die Bekenntnisse dieser
Erklärung über die Schrift zu berichtigen, unter deren unfehlbarer
Autorität wir stehen, während wir unser Bekenntnis niederlegen. Wir
nehmen für das Zeugnis, das wir weitergeben, keine persönliche
Unfehlbarkeit in Anspruch und sind für jeden Beistand dankbar, der
uns dazu verhilft, dieses Zeugnis über die Schrift zu stärken.“
(ebd. S. 16)
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