Dies
ist der dritte Teil einer Serie. Hier geht es zu Teil
1, Teil
2 und Teil 4. In diesem Teil möchte ich der Frage nachgehen, wie Siegfried
Zimmer in seinem Buch mit der Geschichte und insbesondere der
Kirchengeschichte umgeht.
Was
sind Glaubensbekenntnisse?
Interessant
ist der Umgang von Zimmer mit den altkirchlichen
Glaubensbekenntnissen. Es scheint, als würde er diese durchaus über
die Bibel stellen. Die Bibel darf kritisiert werden, das Apostolische
Bekenntnis darf nicht einmal hinterfragt werden:
„Glaubensbekenntnisse sind aber eine besondere Sorte von Texten.
Es sind Basistexte, die das Entscheidende zusammenfassen wollen. Sie
sind von vornherein in der Absicht geschrieben worden, vielen
Menschen eine verbindliche Orientierung zu geben.“ (S. 50)
Soweit gut und richtig, aber Zimmer verkennt damit grundsätzlich,
dass diese Bekenntnisse aus einem Kontext und einer Zeit stammen. Sie
sind – im Gegensatz zur Bibel – nicht inspiriert und somit auch
nicht unfehlbar. Außerdem ist es nicht ganz korrekt, wenn Zimmer nur
sagt, dass sie das Entscheidende zusammenfassen wollen. Sie wurden
vielmehr in den Diskussionen der frühen Kirche um die richtige Lehre
verfasst, das heißt, sie widerspiegeln immer auch die notwendigen
Abgrenzungen gegen die Irrlehren der jeweiligen Zeit.
Warum
also war die Bibel in den frühen Glaubensbekenntnissen nicht
enthalten? Nach der frühen Kritik der Bibel durch den Marcionitismus
(Marcion sagte, dass das AT und große Teile des NT, eigentlich
alles, was judenfreundlich war, nicht vom Gott der Bibel stammen
könne, weil der jüdische Gott der Widersacher des christlichen
Gottes sei) und nachdem der Umfang der Bibel (Kanonisierung) von der
ganzen frühen Kirche bestätigt war, gab es für viele Jahrhunderte
keinen Zweifel mehr an der Bibel. Sie wurde als von Gott inspiriert,
fehlerlos und oberste Autorität für Lehre und Leben betrachtet. Das
änderte sich erst im Zuge der Aufklärung. Es gab somit keine
Notwendigkeit, die Lehre von der Bibel in einem Glaubensbekenntnis
unterzubringen, weil sie allgemein anerkannt war.
Worüber
es hingegen längere Diskussionen gab, war die Lehre vom dreieinen
Gott und besonders die Natur Jesu Christi: Dass Er gleichzeitig
ganz Mensch und ganz Gott ist und dass diese zwei Naturen weder
vermischt noch getrennt sind, und was das für den Glauben und die
Erlösung genau bedeutet. Deshalb wurde die Person Jesu Christi in
den Bekenntnissen so ausführlich behandelt. Wir sehen also: Das
Glaubensbekenntnis ist nicht einfach nur eine Kurzfassung von allen
wichtigen Punkten, sondern vor allem ein Dokument, aus dem man die
jeweils wichtigen und zur jeweiligen Zeit diskutierten Themen
erkennen kann. Deshalb liegt Zimmer auch mit seinem Argument falsch,
dass die Bibel im Apostolikum absichtlich nicht erwähnt wurde (S.
50) Mit den Jahrhunderten kam es jedoch zu einer anderen Entwicklung:
Innerhalb der katholischen Kirche bekam die Tradition und das
päpstliche Lehramt dasselbe Gewicht wie die Bibel – mit anderen
Worten: Es ging darum, dass theologische Laien die Bibel nicht selbst
lesen durften oder konnten, weil sie sie ja falsch auslegen könnten.
Im Zuge der Reformation kam deshalb wieder die Frage nach der Lehre
von der Bibel auf, und Luther machte klar, dass die ganze Bibel
Gottes Wort ist und sie alleingenügsam ist und jeder sie selbst
lesen und verstehen kann.
Bei
Zimmer findet sich übrigens eine ähnliche Entwicklung wie in der
katholischen Kirche des Mittelalters: Um die Bibel richtig zu
verstehen, bedarf es des Lehramts der historisch-kritischen
Theologie. Kein Wunder, dass Zimmer und die übrigen Redner von
Worthaus zu einer Art Papst für progressive Evangelikale werden. Das
neue „Anathema“ heißt nun einfach „fundamentalistisch“ und
„granatendoof“.
Martin
Luther als Bibelkritiker
Die
Lieblingsfigur Zimmers ist Martin Luther. Wie so manch ein anderer
liberaler Theologe vor ihm findet er in den Schriften Luthers
allerlei, was er nach eigenem Gusto gebrauchen kann. Die 120 Bände
der Weimarer Ausgabe der Werke Luthers sind schließlich eine gute
Fundgrube. Da darf man nicht vergessen, wie Luther von allen Seiten
unter Angriffen stand und dass auch er eine Entwicklung durchgemacht
hat (wie übrigens alle anderen Reformatoren auch). Luther musste an
allen Fronten zugleich kämpfen: Spiritualistische Täufer, die
meinten, sie bräuchten wegen dem Heiligen Geist keine Bibel mehr,
skeptische Freunde wie Erasmus, Katholiken, die ihn wieder zurecht
bringen wollten, Bilderstürmer, die am liebsten alles ausgerottet
hätten, was sie irgendwie an die katholische Zeit erinnern konnte,
und so weiter. Mit all diesen Problemen setzte Luther sich aktiv
auseinander – und das findet sich nun in dieser Werksausgabe. Kein
Wunder, dass sich da einiges findet, was sich zu
Rechtfertigungszwecken aller möglichen Agenden eignet.
Martin
Luther kannte zwei Kategorien der Bücher: Solche, die zum biblischen
Kanon dazu gehören, und andere, die es nicht tun. Er schrieb zu den
Apokryphen, dass sie wertvoll zu lesen seien, aber ganz klar von der
Bibel zu unterscheiden sind. Ich gebrauche dazu gern den Vergleich:
Die Apokryphen sind ungefähr so, wie wenn ich einige der Predigten
von C. H. Spurgeon in der Bibel mitdrucken würde. Diese Predigten
sind sehr erbaulich zu lesen, aber sie sind nicht Gottes inspiriertes
Wort.
Innerhalb
der Bibel hatte Martin Luther bestimmte Präferenzen, etwa für den
Brief an die Römer. Diese Präferenz kann ich sehr gut
nachvollziehen. Sie ist bei Luther wie bei mir biographisch bedingt.
Martin Luther wurde das Evangelium klar, als er Römer 1, 16 – 17
studierte und er begriff, dass Gottes Gerechtigkeit ihm durch Jesus
Christus zugesprochen und juristisch übertragen wurde. Bei mir war
es eine Predigt über Römer 6, 12, die mir den geistlichen Bankrott
aufzeigte und ein paar Tage später Römer 10, 9 – 11, die der
Heilige Geist nutzte, um mir neues Leben zu schenken. So darf es
sein, dass man bestimmte Teile der Bibel einfach ganz besonders
wertvoll findet. Trotzdem verbindet Martin Luther und mich auch die
Haltung, dass innerhalb der Bibel Gottes Wort überall zu finden ist,
und zwar ganz direkt, weil es Gott so wollte. Wenn nun Siegfried
Zimmer versucht, Luther als Bibelkritiker zu missbrauchen, ist das
sehr weit hergeholt.
In
der Auseinandersetzung mit der katholischen Theologie der Scholastik,
in welcher auch die Aussagen der Kirchenväter sehr viel Wert
beigemessen bekamen, sagte Luther deshalb: „Oder sag, wenn du
kannst, wer ist der Richter, der eine Frage abschließt, wenn doch
der Väter Aussprüche miteinander kämpfen? Es ist nämlich nötig,
dass hier nach dem Wort als Richter ein Urteil gefällt wird, und das
kann nicht geschehen, wenn wir nicht der Schrift den obersten Platz
geben in allen Dingen, die den Vätern zugeteilt wird, das bedeutet,
dass sie selber durch sich selbst das Allergewisseste,
Allerleichteste, am allerbesten Zugängliche, das, was sich selbst
auslegt, allen alles prüft, beurteilt und erleuchtet.“
(Weimarer Ausgabe Bd. VII, S. 97) Hier haben wir Martin
Luthers hermeneutisches Prinzip: Die Bibel legt sich selbst aus und
nicht irgend eine hysterisch-kritische Methode.
Die
Geburt der Bibelkritik
Natürlich
kann man einwenden, dass es bereits zur Zeit des Neuen Testaments
eine Form der Bibelkritik gab. Die allererste Bibelkritik findet sich
übrigens in 1. Mose 3: „Sollte Gott wirklich gesagt haben?“
Marcion, den wir am Anfang erwähnten, war ein Bibelkritiker. Aber
die eigentliche systematische Bibelkritik ist im 18. Jahrhundert
entstanden – und zwar mitten in der pietistischen
Erweckungsbewegung. Nachdem Martin Luther und die übrigen
Reformatoren gestorben waren, kam die Frage auf: Wie weiter?
Besonders im Luthertum wurde das Bekenntnis zur richtigen Lehre ins
Zentrum gerückt. Das ist sehr wichtig und gut, aber es ist eben
nicht alles. Das persönliche Leben wurde ausgeklammert, indem man
der Lehre diesen Platz zuwies. Im Pietismus wurde das persönliche
Element wieder entdeckt. Leider wurde ihm darin so einen prominenten
Platz zugewiesen, dass plötzlich alles subjektiv wurde. In diesem
Klima las jeder die Bibel für sich und nur mit der Frage: Was will
Gott mir heute sagen? Ein Mann wuchs auch so auf im Pietismus. Er
wurde Professor an der Universität in Halle. Sein Name war Johann
Salomo Semler, und er vertrat die Ansicht, dass die Bibel zwar Gottes
Wort enthält, aber dass Gottes Wort darin erst gesucht und gefunden
werden müsse. Das war 1771.
1787
hielt Johann Philipp Gabler in Altdorf seine Antrittsvorlesung. Mit
ihr begann eine weitere neue Bewegung, nämlich die sogenannte
„Biblische Theologie“. Gabler forderte, dass man die Bibel für
sich auslegen muss, ohne zuerst die Dogmatik (Systematische
Theologie) benutzen zu müssen. In der Biblischen Theologie werden
viele Grundfragen geklärt: Wie gehören das Alte und Neue Testament
zusammen? Was ist der rote Faden durch die Bibel hindurch? Was
bedeutet ein bestimmtes Wort genau an dieser einen Stelle und warum
steht genau dieses Wort da? Und so weiter. Leider wurden die Anliegen
der Herren Semler und Gabler miteinander vermischt und haben zusammen
die historisch-kritischen Methoden begründet. Wer sich für die
weitere Geschichte interessiert, findet hier
(Link) ein Dokument, das ich dazu zusammengestellt habe. Meine
Kritik an der Kritik möchte ich für den nächsten und
abschließenden Teil dieser Blogserie aufheben.
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