Sonntag, 2. November 2014

Robert Letham – Die heilige Dreieinigkeit

Letham, Robert, The Holy Trinity, P&R Publishing Company, Phillipsburg, 2004, 551 Seiten

Wer mich kennt, weiß, dass ich ein begeisterter Leser bin, der an Büchern so ziemlich alles verschlingt, was ihm in die Hände gerät. Doch um dieses Buch zu beschreiben, sind wohl so ziemlich alle Superlative zu klein. Ich möchte es vergleichen mit Jostein Gaarders „Sofies Welt“, das mir vor 20 Jahren den Blick für die interessanten Fragen der Philosophie und die Wichtigkeit der Kulturgeschichte geöffnet hat, oder mit Stephen Kings „Es“, welches ich vor etwa 15 Jahren kaum aus den Händen legen konnte. Doch dieses Buch von Letham ist anders. Es ist kein Roman, sondern eigentlich ein Lehrbuch. Es geht um die biblische Lehre von der göttlichen Dreieinigkeit. In vier Teilen und insgesamt 20 Kapiteln wird dargelegt, was die Bibel dazu sagt, wie sich die Lehre in der frühen Theologiegeschichte entwickelt hat, was wichtige Theologen des 20. Jahrhunderts dazu geschrieben haben und welche praktischen Auswirkungen diese Lehre für unser tägliches Leben haben. Eins ist das Buch allerdings nicht – es ist keine trockene Abhandlung von Lehrsätzen, sondern ein fesselndes Werk, das ich trotz der Länge von über 500 Seiten in wenigen Tagen verschlungen habe.

Zu Beginn – noch in der Einleitung – kommt Letham zum Schluss, dass die Dreieinigkeit nicht nur lange Zeit stark vernachlässigt wurde, sondern auch in der heutigen Zeit häufig zu falschen Lehren führt. Er zeigt auf, dass die Dreieinigkeit – ein Gott in drei Personen und drei Personen in einem Gott – wie eine Schaukel ist, auf der man auf zwei Seiten kippen kann. Wenn man die Einheit Gottes zu stark betont, lehrt man sehr schnell drei Personen, die lediglich verschiedene Erscheinungsformen desselben Gottes sind, und dabei die ewigen Unterschiede zwischen den drei Personen verwischt. Das nennt man „Modalismus“ (von lateinisch „modus“ für „Erscheinungsform“). Auf der anderen Seite steht man in Gefahr, die Unterschiede der drei Personen zu stark zu betonen, was dazu führt, dass man Gott Sohn (Jesus) und den Heiligen Geist zu niedrigeren Personen macht als Gott Vater. Das nennt man „Subordinationismus“, weil man damit den Sohn und den Geist dem Vater unterordnet. Letham zeigt auf, dass die meisten Christen in unserer westlichen Gesellschaft in der Praxis Modalisten sind.

Darauf folgt in den ersten drei Kapiteln ein relativ schneller Durchgang durch die Bibel. Im ersten Kapitel geht es um das Alte Testament, in welchem vor allem der eine Gott betont wird. Israel lebte unter fremden Völkern, die allesamt polytheistisch geprägt waren, also an viele Götter glaubten. Deshalb musste der eine Gott betont werden. Und trotzdem gab es implizit immer wieder Hinweise auf die Mehrzahl der Personen der Dreieinigkeit. Im zweiten Kapitel geht es um die Menschwerdung Jesu und die Beziehung Jesu zum Vater, während sich das dritte Kapitel speziell mit dem Heiligen Geist und mit den Abschnitten befasst, in welchen alle drei Personen genannt werden. An das dritte Kapitel ist ein Exkurs angehängt, der sich noch im Detail mit der Dreieinigkeit im Epheserbrief befasst. Damit ist der erste Teil „Scripture“ abgeschlossen. Mit 88 Seiten ist der Platz recht knapp bemessen, aber Letham schafft das Erstaunliche, so ziemlich alles total Wichtige in diese Seiten hineinzulegen. Die Fußnoten sind auch immer einen Blick wert und haben mir manch ein weiteres Buch schmackhaft gemacht. So ähnlich geht es mir beim Lesen von guten Büchern oft: Ein Buch ist abgehakt, dafür ein gutes Dutzend neue auf der Liste.

Der zweite Teil besteht aus den Kapiteln vier bis zwölf. In diesen wird die Auseinandersetzung um die Lehre von der Dreieinigkeit behandelt. Letham zeigt, dass die biblische Idee von der Dreieinigkeit, die ja bereits im Neuen Testament deutlich angelegt war, von Anfang an in der frühen Kirche anerkannt war. Der Begriff selbst kam jedoch erst auf, als eine erste Bewegung diese Lehre verwerfen wollte und man sie daher begründen musste. So befasst sich das vierte Kapitel mit den ersten Christen, das fünfte mit dieser ersten Gegenbewegung, mit der arianischen Kontroverse. Im sechsten Kapitel wird uns Athanasius vorgestellt, der als Erster eine extensive Abhandlung über den Heiligen Geist geschrieben hat. Das siebte Kapitel berichtet von den drei „kappadozischen Vätern“, die aus der Gegend von Kappadozien stammten, weshalb man sie so nannte. Diese drei, Basilius der Große, sein Bruder Gregor von Nyssa und deren beider Freund Gregor von Nazianz, haben sich alle drei sehr stark mit den Fragen um die Dreieinigkeit befasst. Die Beschlüsse des Konzils von Konstantinopel 381 n. Chr gehen in großen Teilen auf diese drei zurück. Das Konzil selbst und das Glaubensbekenntnis, das dort geschrieben wurde, wird im achten Kapitel angesprochen. Das neunte Kapitel zeigt den Einfluss von Augustinus auf. Dann kommt eine längere Zeit, in der wenig geschehen ist. Die Sicht von Augustinus war für den westlichen Teil der Kirche wichtig, die Arbeit der kappadozischen Väter für den östlichen Teil der Kirche, doch zunehmend wurden die Differenzen größer. Die Ostkirche betonte immer mehr die Unterschiede der drei Personen, die Westkirche immer mehr die Einheit. Was daraus folgte, war 1054 n. Chr die Trennung der beiden Kirchen in die katholische und die orthodoxe Kirche. Letham zeigt diese Entwicklung und die Spaltung in den Kapiteln zehn und elf auf, und widmet das zwölfte Kapitel dem Reformator Johannes Calvin.

Im dritten Teil geht es in den Kapiteln 13 – 16 um die wichtigsten Theologen des 20. Jahrhunderts. Zuerst um Karl Barth. Dieser hat die Dreieinigkeit als Zentrum der Theologie aufgestellt. Seine Schwäche ist jedoch, dass er den Heiligen Geist nicht als Person, sondern vielmehr als eine Kraft betrachtet. Im Kapitel 14 geht Letham auf die drei westlichen Theologen Karl Rahner, Jürgen Moltmann und Wolfhart Pannenberg ein. Alle drei neigen zu einer Art Panentheismus (der Lehre, dass Gott zwar von der Schöpfung zu unterscheiden ist, aber dass Gott in der Schöpfung und die Schöpfung in Gott ist und deshalb Gott von der Schöpfung oder vom Menschen in gewisser Weise abhängig ist). Letham beschreibt dies natürlich weitaus ausführlicher, ich empfehle jedem, der dies anders sieht, das Kapitel bei Letham selbst zu lesen. Drei Theologen der Ostkirche werden im Kapitel 14 beschrieben: Sergius Bulgakov, Vladimir Lossky und Dumitru Staniloae. Wie bereits gesehen, ist die Gefahr im Osten groß, dass man die drei Personen zu stark betont, was auf Kosten der Einheit des einen Gottes zu drei einzelnen Göttern führt. Das 16. Kapitel stellt den Theologen Thomas F. Torrance vor, dessen Auseinandersetzung mit der Dreieinigkeit laut Letham die stärkste ist unter den wichtigen zeitgenössischen Beiträgen. Torrance hat unter Karl Barth studiert, ist aber kein typischer Barthianer, sondern versucht auf kreative Weise zu zeigen, dass sich die östliche und die westliche Kirche im Prinzip eben doch nicht so sehr unterscheiden. Er möchte mehr Einheit unter den Kirchen erreichen. Er geht deshalb hinter Augustinus zurück, dorthin, wo sich alle noch einig waren über das Wesen der Lehre von der Dreieinigkeit.

Der vermutlich wichtigste Teil für unsere Zeit ist der krönende Abschluss des Buches. In den Kapiteln 17 – 20 geht es um die Praxis. Letham zeigt, welche Konsequenzen die Lehre von der Dreieinigkeit für unser Leben im Alltag und in der Gemeinde hat. Hierzu ein paar wichtige Zitate:

We worship the Father, who chose us in Christ before the foundation of the world, who planned our salvation from eternity, who sent his Son into the world and gave him up for us. We worship the Son, in filial relation to the Father, who willingly "for us and our salvation" was made flesh, who submitted himself to a life in a fallen world, who trod a path of lowliness, temptation, and suffering, leading to the cruel death of the cross. [...] We worship the Holy Spirit, who gives life and breath to all, who grants us the gift of faith, who sustains us through the difficulties of life as Christians in a world set in hostility to God, and who testifies the Son.“ (S. 419)

There is a need to refocus Western hymnody. We need more Trinitarian hymns. There was an outpouring of such hymns following the Trinitarian crisis, but by the high Middle Ages this had slowed to a trickle, eventually to dry up altogether.“ (S. 422)

Chief of all, the Trinity must be preached and must shape our preaching. Preaching is the high point of worship. Not only must the Trinity be preached, but all preaching must be shaped by the active recognition that the God who is proclaimed is triune. A Trinitarian mind-set must become as integral to the preacher as the air we breathe.“ (S. 423)

Who can listen to [Beethoven's] Piano Trio in B-flat, Op. 97 (the "Archduke"), especially the third movement - the andante cantabile - and not be led behind the mundane? The question of Beethoven's beliefs is beside the point. It is irrelevant. He was a man, made in God's image, the master of a creative medium that God himself has made for our good and as a vehicle to glorify him. He was working with a genre that owed its development to the Christian faith. The whole notion of developing a theme, of moving progressively and purposefully to a goal, of returning after a myriad of complex modulations to a resolution, of a variety of instruments playing different notes that are all part of a single score, is based on the matrix of realities found in the created order, which the Holy Trinity put there in the work of creation itself, and reflects who he is. The turbulent rationalist Beethoven, the angst-ridden Mahler, the syphilitic Schubert, the scatological Mozart, as well as the pious Bruckner and Johann Sebastian Bach, all testify - whether deliberately, as in the case of the last two, or unwittingly - to the triune God who made them and the world around them, to his unity in diversity, purpose, structure, and beauty, which such human creativity mirrors.“ (S. 438f)

The two major challenges to the Christian faith today - the postmodern thinking of our own culture and Islam - are both deviations from the created order of unity in diversity and diversity in unity that the Holy Trinity has embedded in the world.“ (S. 442)

Postmodernism asks us to accept for itself what it denies to everything and everyone else. It denies and deconstructs absolute truth claims, yet its own claims are absolute, excluded from the relativism that it foists on the assertions of others. It claims that all human language refers only to itself. This is an absolute claim, applying to all human discourse, spoken or written. It is also reductionistic, reducing the whole of reality to one form, in this case a particular theory of language. Such reductionism is not a claim about language so much as a philosophy, a worldview, a fundamentally religious worldview.“ (S. 453)

Since God himself is love (1 John 4:16), and we have fellowship and communion with him, love is the acid test of our discipleship. If we love others, we belong to Jesus Christ. If we lack love, we are not his at all. God is a triune communion of persons. Love is intrinsic to who he is. Attributes like grace, mercy, justice, and even holiness are all relative to creatures. His wrath is relative to sinners, as the expression of his holiness in response to human sin. Love, however, belongs to who he is in himself in the undivided communion of the three persons.“ (S. 477)

Das Buch ist ein echter Genuss. Es ist leicht verständlich geschrieben, wenn auch mit einigen theologischen Fachausdrücken. Diese werden jedoch bei der Einführung des jeweiligen Begriffs sehr gut, anschaulich und verständlich erklärt. Wer also einigermaßen geübt ist im Lesen von englischen Texten und die Angst vor den Fremdwörtern überwinden kann, wird das Buch auch ohne theologische Vorbildung verstehen. Außerdem ist nach den zwei Appendizes (Anhängen) auch ein Glossar angehängt, in welchem die Fremdwörter auf insgesamt 7 Seiten noch einmal erklärt werden. Auch hier wieder verständlich und einfach. Auch ist das ganze Buch von Bibelzitaten geradezu durchtränkt und hat mich immer wieder in Lobpreis geführt beim Lesen. Es ist auch wohltuend, wie Letham sich konstruktiv-kritisch mit den Beiträgen auseinandersetzt. Es geht ihm nicht um das Abkanzeln bestimmter Autoren, sondern er sucht das Gespräch mit den Büchern der einzelnen Autoren und setzt sich wirklich konstruktiv mit ihnen auseinander. Davon will ich mir noch eine Scheibe abschneiden.

Zwei kleine Mängel sind mir dennoch aufgefallen. Zunächst gibt es Abschnitte im Buch, die mehrmals mehr oder weniger eins zu eins identisch übernommen werden. So etwa wichtige Zitate von den kappadozischen Vätern. Eins davon erscheint in der Einleitung, dann im Kapitel über die Kappadozier und im letzten Teil des Buches, bei der praktischen Anwendung gleich noch ein drittes Mal. Mit einzelnen anderen Abschnitten verfährt Letham ähnlich. Das fand ich etwas schade. Auch die Auswahl der Theologen – gerade was Mittelalter und Reformation, sowie die Zeit danach betrifft, empfand ich als etwas dürftig. Warum bei der Behandlung der Reformation etwa Martin Luther, Huldrych Zwingli oder Heinrich Bullinger gänzlich außen vor gelassen wurden, konnte ich nicht verstehen. Ebensowenig die Aussage, dass John Owen und Jonathan Edwards keine nennenswerten neuen Beiträge zur Lehre von der Dreieinigkeit beigetragen hätten (vgl. S. X im Vorwort), kann ich nicht unterschreiben.

Davon abgesehen möchte ich das Buch sehr empfehlen. Es wäre außerdem zu wünschen, dass das Buch auf Deutsch übersetzt und herausgegeben werden könnte.

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