Letham, Robert, The Holy Trinity, P&R Publishing Company, Phillipsburg, 2004, 551 Seiten
Wer
mich kennt, weiß, dass ich ein begeisterter Leser bin, der an
Büchern so ziemlich alles verschlingt, was ihm in die Hände gerät.
Doch um dieses Buch zu beschreiben, sind wohl so ziemlich alle
Superlative zu klein. Ich möchte es vergleichen mit Jostein Gaarders
„Sofies Welt“, das mir vor 20 Jahren den Blick für die
interessanten Fragen der Philosophie und die Wichtigkeit der
Kulturgeschichte geöffnet hat, oder mit Stephen Kings „Es“,
welches ich vor etwa 15 Jahren kaum aus den Händen legen konnte.
Doch dieses Buch von Letham ist anders. Es ist kein Roman, sondern eigentlich
ein Lehrbuch. Es geht um die biblische Lehre von der göttlichen
Dreieinigkeit. In vier Teilen und insgesamt 20 Kapiteln wird
dargelegt, was die Bibel dazu sagt, wie sich die Lehre in der frühen
Theologiegeschichte entwickelt hat, was wichtige Theologen des 20.
Jahrhunderts dazu geschrieben haben und welche praktischen
Auswirkungen diese Lehre für unser tägliches Leben haben. Eins ist
das Buch allerdings nicht – es ist keine trockene Abhandlung von
Lehrsätzen, sondern ein fesselndes Werk, das ich trotz der Länge
von über 500 Seiten in wenigen Tagen verschlungen habe.
Zu
Beginn – noch in der Einleitung – kommt Letham zum Schluss, dass
die Dreieinigkeit nicht nur lange Zeit stark vernachlässigt wurde,
sondern auch in der heutigen Zeit häufig zu falschen Lehren führt.
Er zeigt auf, dass die Dreieinigkeit – ein Gott in drei Personen
und drei Personen in einem Gott – wie eine Schaukel ist, auf der
man auf zwei Seiten kippen kann. Wenn man die Einheit Gottes zu stark
betont, lehrt man sehr schnell drei Personen, die lediglich
verschiedene Erscheinungsformen desselben Gottes sind, und dabei die
ewigen Unterschiede zwischen den drei Personen verwischt. Das nennt
man „Modalismus“ (von lateinisch „modus“ für
„Erscheinungsform“). Auf der anderen Seite steht man in Gefahr,
die Unterschiede der drei Personen zu stark zu betonen, was dazu
führt, dass man Gott Sohn (Jesus) und den Heiligen Geist zu
niedrigeren Personen macht als Gott Vater. Das nennt man
„Subordinationismus“, weil man damit den Sohn und den Geist dem
Vater unterordnet. Letham zeigt auf, dass die meisten Christen in
unserer westlichen Gesellschaft in der Praxis Modalisten sind.
Darauf
folgt in den ersten drei Kapiteln ein relativ schneller Durchgang
durch die Bibel. Im ersten Kapitel geht es um das Alte Testament, in
welchem vor allem der eine Gott betont wird. Israel lebte unter
fremden Völkern, die allesamt polytheistisch geprägt waren, also an
viele Götter glaubten. Deshalb musste der eine Gott betont werden.
Und trotzdem gab es implizit immer wieder Hinweise auf die Mehrzahl
der Personen der Dreieinigkeit. Im zweiten Kapitel geht es um die
Menschwerdung Jesu und die Beziehung Jesu zum Vater, während sich
das dritte Kapitel speziell mit dem Heiligen Geist und mit den
Abschnitten befasst, in welchen alle drei Personen genannt werden. An
das dritte Kapitel ist ein Exkurs angehängt, der sich noch im Detail
mit der Dreieinigkeit im Epheserbrief befasst. Damit ist der erste
Teil „Scripture“ abgeschlossen. Mit 88 Seiten ist der Platz recht
knapp bemessen, aber Letham schafft das Erstaunliche, so ziemlich
alles total Wichtige in diese Seiten hineinzulegen. Die Fußnoten
sind auch immer einen Blick wert und haben mir manch ein weiteres
Buch schmackhaft gemacht. So ähnlich geht es mir beim Lesen von
guten Büchern oft: Ein Buch ist abgehakt, dafür ein gutes Dutzend
neue auf der Liste.
Der
zweite Teil besteht aus den Kapiteln vier bis zwölf. In diesen wird
die Auseinandersetzung um die Lehre von der Dreieinigkeit behandelt.
Letham zeigt, dass die biblische Idee von der Dreieinigkeit, die ja
bereits im Neuen Testament deutlich angelegt war, von Anfang an in
der frühen Kirche anerkannt war. Der Begriff selbst kam jedoch erst
auf, als eine erste Bewegung diese Lehre verwerfen wollte und man sie
daher begründen musste. So befasst sich das vierte Kapitel mit den
ersten Christen, das fünfte mit dieser ersten Gegenbewegung, mit der
arianischen Kontroverse. Im sechsten Kapitel wird uns Athanasius
vorgestellt, der als Erster eine extensive Abhandlung über den
Heiligen Geist geschrieben hat. Das siebte Kapitel berichtet von den
drei „kappadozischen Vätern“, die aus der Gegend von Kappadozien
stammten, weshalb man sie so nannte. Diese drei, Basilius der Große,
sein Bruder Gregor von Nyssa und deren beider Freund Gregor von
Nazianz, haben sich alle drei sehr stark mit den Fragen um die
Dreieinigkeit befasst. Die Beschlüsse des Konzils von Konstantinopel
381 n. Chr gehen in großen Teilen auf diese drei zurück. Das Konzil
selbst und das Glaubensbekenntnis, das dort geschrieben wurde, wird
im achten Kapitel angesprochen. Das neunte Kapitel zeigt den Einfluss
von Augustinus auf. Dann kommt eine längere Zeit, in der wenig
geschehen ist. Die Sicht von Augustinus war für den westlichen Teil
der Kirche wichtig, die Arbeit der kappadozischen Väter für den
östlichen Teil der Kirche, doch zunehmend wurden die Differenzen
größer. Die Ostkirche betonte immer mehr die Unterschiede der drei
Personen, die Westkirche immer mehr die Einheit. Was daraus folgte,
war 1054 n. Chr die Trennung der beiden Kirchen in die katholische
und die orthodoxe Kirche. Letham zeigt diese Entwicklung und die
Spaltung in den Kapiteln zehn und elf auf, und widmet das zwölfte
Kapitel dem Reformator Johannes Calvin.
Im
dritten Teil geht es in den Kapiteln 13 – 16 um die wichtigsten
Theologen des 20. Jahrhunderts. Zuerst um Karl Barth. Dieser hat die
Dreieinigkeit als Zentrum der Theologie aufgestellt. Seine Schwäche
ist jedoch, dass er den Heiligen Geist nicht als Person, sondern
vielmehr als eine Kraft betrachtet. Im Kapitel 14 geht Letham auf die
drei westlichen Theologen Karl Rahner, Jürgen Moltmann und Wolfhart
Pannenberg ein. Alle drei neigen zu einer Art Panentheismus (der
Lehre, dass Gott zwar von der Schöpfung zu unterscheiden ist, aber
dass Gott in der Schöpfung und die Schöpfung in Gott ist und
deshalb Gott von der Schöpfung oder vom Menschen in gewisser Weise
abhängig ist). Letham beschreibt dies natürlich weitaus
ausführlicher, ich empfehle jedem, der dies anders sieht, das
Kapitel bei Letham selbst zu lesen. Drei Theologen der Ostkirche
werden im Kapitel 14 beschrieben: Sergius Bulgakov, Vladimir Lossky
und Dumitru Staniloae. Wie bereits gesehen, ist die Gefahr im Osten
groß, dass man die drei Personen zu stark betont, was auf Kosten der
Einheit des einen Gottes zu drei einzelnen Göttern führt. Das 16.
Kapitel stellt den Theologen Thomas F. Torrance vor, dessen
Auseinandersetzung mit der Dreieinigkeit laut Letham die stärkste
ist unter den wichtigen zeitgenössischen Beiträgen. Torrance hat
unter Karl Barth studiert, ist aber kein typischer Barthianer,
sondern versucht auf kreative Weise zu zeigen, dass sich die östliche
und die westliche Kirche im Prinzip eben doch nicht so sehr
unterscheiden. Er möchte mehr Einheit unter den Kirchen erreichen.
Er geht deshalb hinter Augustinus zurück, dorthin, wo sich alle noch
einig waren über das Wesen der Lehre von der Dreieinigkeit.
Der
vermutlich wichtigste Teil für unsere Zeit ist der krönende
Abschluss des Buches. In den Kapiteln 17 – 20 geht es um die
Praxis. Letham zeigt, welche Konsequenzen die Lehre von der
Dreieinigkeit für unser Leben im Alltag und in der Gemeinde hat.
Hierzu ein paar wichtige Zitate:
„We
worship the Father, who chose us in Christ before the foundation of
the world, who planned our salvation from eternity, who sent his Son
into the world and gave him up for us. We worship the Son, in filial
relation to the Father, who willingly "for us and our salvation"
was made flesh, who submitted himself to a life in a fallen world,
who trod a path of lowliness, temptation, and suffering, leading to
the cruel death of the cross. [...] We worship the Holy Spirit, who
gives life and breath to all, who grants us the gift of faith, who
sustains us through the difficulties of life as Christians in a world
set in hostility to God, and who testifies the Son.“ (S. 419)
„There
is a need to refocus Western hymnody. We need more Trinitarian hymns.
There was an outpouring of such hymns following the Trinitarian
crisis, but by the high Middle Ages this had slowed to a trickle,
eventually to dry up altogether.“ (S. 422)
„Chief
of all, the Trinity must be preached and must shape our preaching.
Preaching is the high point of worship. Not only must the Trinity be
preached, but all preaching must be shaped by the active recognition
that the God who is proclaimed is triune. A Trinitarian mind-set must
become as integral to the preacher as the air we breathe.“ (S.
423)
„Who
can listen to [Beethoven's] Piano Trio in B-flat, Op. 97 (the
"Archduke"), especially the third movement - the andante
cantabile - and not be led behind the mundane? The question of
Beethoven's beliefs is beside the point. It is irrelevant. He was a
man, made in God's image, the master of a creative medium that God
himself has made for our good and as a vehicle to glorify him. He was
working with a genre that owed its development to the Christian
faith. The whole notion of developing a theme, of moving
progressively and purposefully to a goal, of returning after a myriad
of complex modulations to a resolution, of a variety of instruments
playing different notes that are all part of a single score, is based
on the matrix of realities found in the created order, which the Holy
Trinity put there in the work of creation itself, and reflects who he
is. The turbulent rationalist Beethoven, the angst-ridden Mahler, the
syphilitic Schubert, the scatological Mozart, as well as the pious
Bruckner and Johann Sebastian Bach, all testify - whether
deliberately, as in the case of the last two, or unwittingly - to the
triune God who made them and the world around them, to his unity in
diversity, purpose, structure, and beauty, which such human
creativity mirrors.“ (S. 438f)
„The
two major challenges to the Christian faith today - the postmodern
thinking of our own culture and Islam - are both deviations from the
created order of unity in diversity and diversity in unity that the
Holy Trinity has embedded in the world.“ (S. 442)
„Postmodernism
asks us to accept for itself what it denies to everything and
everyone else. It denies and deconstructs absolute truth claims, yet
its own claims are absolute, excluded from the relativism that it
foists on the assertions of others. It claims that all human language
refers only to itself. This is an absolute claim, applying to all
human discourse, spoken or written. It is also reductionistic,
reducing the whole of reality to one form, in this case a particular
theory of language. Such reductionism is not a claim about language
so much as a philosophy, a worldview, a fundamentally religious
worldview.“ (S. 453)
„Since
God himself is love (1 John 4:16), and we have fellowship and
communion with him, love is the acid test of our discipleship. If we
love others, we belong to Jesus Christ. If we lack love, we are not
his at all. God is a triune communion of persons. Love is intrinsic
to who he is. Attributes like grace, mercy, justice, and even
holiness are all relative to creatures. His wrath is relative to
sinners, as the expression of his holiness in response to human sin.
Love, however, belongs to who he is in himself in the undivided
communion of the three persons.“ (S. 477)
Das
Buch ist ein echter Genuss. Es ist leicht verständlich geschrieben,
wenn auch mit einigen theologischen Fachausdrücken. Diese werden
jedoch bei der Einführung des jeweiligen Begriffs sehr gut,
anschaulich und verständlich erklärt. Wer also einigermaßen geübt
ist im Lesen von englischen Texten und die Angst vor den Fremdwörtern
überwinden kann, wird das Buch auch ohne theologische Vorbildung
verstehen. Außerdem ist nach den zwei Appendizes (Anhängen) auch
ein Glossar angehängt, in welchem die Fremdwörter auf insgesamt 7
Seiten noch einmal erklärt werden. Auch hier wieder verständlich
und einfach. Auch ist das ganze Buch von Bibelzitaten geradezu
durchtränkt und hat mich immer wieder in Lobpreis geführt beim
Lesen. Es ist auch wohltuend, wie Letham sich konstruktiv-kritisch
mit den Beiträgen auseinandersetzt. Es geht ihm nicht um das
Abkanzeln bestimmter Autoren, sondern er sucht das Gespräch mit den
Büchern der einzelnen Autoren und setzt sich wirklich konstruktiv
mit ihnen auseinander. Davon will ich mir noch eine Scheibe
abschneiden.
Zwei
kleine Mängel sind mir dennoch aufgefallen. Zunächst gibt es
Abschnitte im Buch, die mehrmals mehr oder weniger eins zu eins
identisch übernommen werden. So etwa wichtige Zitate von den
kappadozischen Vätern. Eins davon erscheint in der Einleitung, dann
im Kapitel über die Kappadozier und im letzten Teil des Buches, bei
der praktischen Anwendung gleich noch ein drittes Mal. Mit einzelnen
anderen Abschnitten verfährt Letham ähnlich. Das fand ich etwas
schade. Auch die Auswahl der Theologen – gerade was Mittelalter
und Reformation, sowie die Zeit danach betrifft, empfand ich als
etwas dürftig. Warum bei der Behandlung der Reformation etwa Martin
Luther, Huldrych Zwingli oder Heinrich Bullinger gänzlich außen vor
gelassen wurden, konnte ich nicht verstehen. Ebensowenig die Aussage,
dass John Owen und Jonathan Edwards keine nennenswerten neuen
Beiträge zur Lehre von der Dreieinigkeit beigetragen hätten (vgl.
S. X im Vorwort), kann ich nicht unterschreiben.
Davon
abgesehen möchte ich das Buch sehr empfehlen. Es wäre außerdem zu
wünschen, dass das Buch auf Deutsch übersetzt und herausgegeben
werden könnte.
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