Zu
Beginn des neuen Lesejahres bin ich auf ein kleines Buch von Donald A.
Carson gestoßen. Es heißt „The difficult Doctrine of the love ofGod“. Freundlicherweise bietet Carson manche seiner Bücher zum
kostenlosen Download als PDF an. So konnte ich das Buch digital
lesen. Wer dieses und noch mehr Bücher von Carson als PDFs lesen
möchte, findet hier
(Link) die komplette Auswahl dieser PDF-Bücher.
Carson
ist Professor für Neues Testament an der Trinity Evangelical
Divinity School und auch ein ausgezeichneter Kulturkenner. So
verwundert es nicht, dass sein Buch mit einem Überblick über
verschiedene evangelikale Missverständnisse von der Liebe Gottes
beginnt.
Ich
habe das Buch vor allem deshalb mit viel Interesse gelesen, weil mir
das häretische Liebesgewäsch zahlreicher Vorzeige-Evangelikaler
seit Jahren ein Dorn im Auge ist. Als Erstes muss Carson natürlich
erklären, warum er der Meinung ist, dass die Lehre von der Liebe
Gottes kompliziert ist. Dies ist laut Carson kein innerbiblisches
Problem, sondern in erster Linie ein kulturelles Problem unserer
Zeit. Unsere Kultur hat ein kaputtes Verständnis von der Liebe, und
das mach die Rede von Gottes Liebe kompliziert. In seinen Worten:
„The result, of
course, is that the love of God in our culture has been purged of
anything the culture finds uncomfortable. The love of God has been
sanitized, democratized, and above all sentimentalized.“
(S. 11)
Ab
S. 16 stellt Carson fünf verschiedene Arten vor, wie die Bibel
implizit und explizit von der Liebe Gottes spricht. Ich fasse diese
in meinen Worten zusammen:
1.
Die Liebe Gottes innerhalb der göttlichen Dreieinigkeit. Gott Vater
liebt Gott Sohn und Gott Sohn liebt Gott Vater. Beider Liebe ist
gleichermaßen perfekt aber in sich selbst unterschiedlich. (Im
zweiten Kapitel wird das im Detail ausgearbeitet)..
2.
Die Liebe Gottes zu allem, was Er gemacht hat. Carson nennt das die
Liebe in der Vorsehung (providential love). Alles, was Gott gemacht
hat, war gut, und deshalb das Produkt eines liebenden Schöpfers.
3.
Gottes rettende Liebe gegenüber einer gefallenen Welt. Gott hat
Seinen Sohn gesandt, um die ganze gefallene Welt auf den Kopf zu
stellen. Deshalb hat Jesus Christus auch die Gemeinde gesandt, um
allen Menschen das Evangelium zu verkünden.
4.
Gottes ganz spezielle effektive Liebe gegenüber den Gläubigen.
Zuerst war das Volk Israel Gottes auserwähltes Volk. Von dort wurden
auch einzelne Menschen wiederum als Priester oder Propheten, etc.
ausgewählt. In Jesus wurde der neue Bund für alle Gläubigen aller
Nationen geöffnet.
5.
In bestimmten Fällen sind die segensreichen Auswirkungen von Gottes
Liebe an eine Bedingung, nämlich Gehorsam, geknüpft. So ist der
Gehorsam Jesu gegenüber auch eine sichtbare Darstellung unserer
Liebe Gott gegenüber.
Diese
fünf Arten der Liebe Gottes haben Gemeinsamkeiten und Unterschiede.
Sie finden alle gleichzeitig statt und sind alle gleichermaßen
perfekte Liebe Gottes. Man könnte auch sagen, sie sind verschiedene
Ausdrücke derselben Liebe gegenüber unterschiedlichen Empfängern
dieser Liebe. Keine der fünf Arten oder Ausdrücke darf überbetont
werden, sie haben bei Gott alle denselben Rang.
Das
zweite Kapitel „Gott ist Liebe“ behandelt vor allem die
sprachlichen Unterschiede der verschiedenen Ausdrücke, die in der
Bibel mit „Liebe“ oder ähnlichen Worten übersetzt werden. Das
ist eine interessante Debatte, die ich hier aber überspringe. Eine
interessante Bemerkung macht Carson zur Heilung Jesu am Sabbat: „Yet
here is Jesus, claiming the right to work on the Sabbath because
God is his Father, and, implicitly, he is
the Son who follows in his Father’s footsteps in this regard.“
(S. 32)
Wichtig
finde ich ganz besonders für unsere heutige Zeit das dritte Kapitel
„Gottes Liebe und Gottes Souveränität“. Hier geht es um die
Frage, was es bedeutet, dass Gott liebt in der Hinsicht darauf, dass
Gott Gott ist und damit perfekt und absolut souverän. Anders
gefragt: Kann der absolut souveräne Gott Gefühle haben? Das ist
übrigens eine Frage, die auch in Diskussionen mit Atheisten häufig
aufkommt.
Etwa
in Hosea 11 wird deutlich, dass Gott nicht einfach ein gefühlsloses,
stoisch in sich ruhendes Wesen ist. Das ist die eine Seite, von der
man vom Pferd fallen kann. Die andere Seite darf aber auch nicht
vergessen werden: Ebenso falsch ist es, sich Gott so vorzustellen,
dass er sich ständig verändern und seine Meinung in den Wind hängen
würde. Gerade diese Diskussion macht das Buch unglaublich wertvoll.
Carson
macht klar, dass die Bibel Gottes Unveränderlichkeit lehrt. Gott ist
treu, bleibt ewig Derselbe, ist unveränderlich. Daraus haben manche
Traditionen eine Lehre von Gottes „Gefühllosigkeit“ (engl.
„impassibility“) gemacht. Dazu schreibt Carson:
„Christians are
not fatalists. The central line of Christian tradition neither
sacrifices the utter sovereignty of God nor reduces the
responsibility of his image-bearers. In the realm of philosophical
theology, this position is sometimes called compatibilism.
It simply means that God’s unconditioned sovereignty and the
responsibility of human beings are mutually compatible.“
(S. 51f) Carson zeigt dies etwa am Beispiel von Joseph: Seine Brüder
haben eine falsche Entscheidung gemacht. Sie meinten es übel mit
ihm. Aber Gott hat genau dieses Übel für etwas Gutes gebraucht. So
sind die Brüder vor Gott dennoch für falsches Handeln
verantwortlich. Aber Gott gebraucht auch Sünde, um daraus Gutes
werden zu lassen.
Carson
zeigt auf, dass die Prozesstheologie keine Lösung dieser Frage
bieten kann, im Gegenteil, sie stiftet nur Verwirrung. Diese Theorie
behauptet, dass Gott das Universum in sich selbst geschaffen hat,
also dass es jetzt in ihm ist, und dass Gott sich deshalb auch
verändern würde, sobald sich im Universum, bzw. unter uns Menschen
etwas verändert. Von einem ähnlichen Konzept geht etwa auch der „Open
Theism“ aus, der sich zur Zeit recht schnell
ausbreitet. Diese Lehre besagt, dass der Mensch nur dann einen freien
Willen haben könne, wenn Gott heute noch nicht weiß, was wir morgen
entscheiden werden. So habe Gott – sagt diese Theorie – sich
selbst eingeschränkt und verzichtet auf das Vorherwissen unserer
Entscheidungen und sei deshalb auch immer wieder erstaunt oder gar
erschreckt oder Ähnliches, je nachdem, was wir tun.
Und
dann geht es um die Frage, was es bedeutet, dass Gott uns liebt. Hier
zwei wichtige Zitate dazu:
„He
does not “fall in love” with us; he sets his affection on
us.“ (S. 61) Gott ist nicht in einer Art wie wir Menschen das
kennen „verliebt“. Er wird nicht von den Hormonen gesteuert. Seine
Liebe bedeutet, dass Er uns in all unserer Schwäche und
Sündhaftigkeit annimmt, indem Er Seine Liebe auf uns richtet. Gott
sagt uns also ungefähr:
„Your
sins have made you disgustingly ugly. But I love you anyway, not
because you are attractive, but because it is my nature to love.“
(S. 63) Wir haben nichts an uns, was uns für Gott liebenswert macht,
also nichts, was Ihn aus uns selbst dazu animieren würde, uns zu
lieben. Er tut es trotzdem, weil die Liebe Seinem Wesen entspricht.
Das
vierte und damit letzte Kapitel heißt „Gottes Liebe und Gottes
Zorn“. Auch hier wieder wertvolle Hilfen zum Verstehen von Gottes
Wort:
„Where
God in his holiness confronts his image-bearers in their rebellion,
there must be wrath, or God is not the jealous God he
claims to be, and his holiness is impugned. The price of diluting
God’s wrath is diminishing God’s holiness.“ (S. 67)
Unser
Problem damit ist, dass wir Menschen sehr beschränkt sind. In
unserer Erfahrung kennen wir vor allem das ständige Wechseln dieser
Gemütszustände. Mal sind wir zornig, dann wieder nicht, und so
weiter. Zorn treibt die Liebe aus und die Liebe den Zorn. Aber Gott
ist nicht so beschränkt, bei Ihm ist alles zugleich und in absoluter
Perfektion.
„In
other words, both God’s love and God’s wrath are ratcheted up in
the move from the old covenant to the new, from the Old Testament to
the New. These themes barrel along through redemptive history,
unresolved, until they come to a resounding climax—in the cross. Do
you wish to see God’s love? Look at the cross. Do you wish to see
God’s wrath? Look at the cross.“ (S. 70f)
Am
Kreuz sehen wir den Höhepunkt der Heilsgeschichte. Hier sind Gottes
schrecklicher Zorn und Gottes unfassbare Liebe beide gleichermaßen
fassbar, und keines davon hebelt das andere aus.
Ein
lesens- und bedenkenswertes Buch, das mir wohl noch das eine und
andere Mal zu knabbern geben wird!
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