Im
Laufe der vergangenen zwei Wochen habe ich das Buch „Eisenhans“
von Robert Bly gelesen. Ich muss dazu vorausschicken, dass mich das
Werk als Ganzes enttäuscht hat. Dies wird zum Teil auch daran
liegen, dass ich hohe Erwartungen an das Buch hatte. Seit ich vor
einigen Jahren John Eldredges „Der ungezähmte Mann“ gelesen
hatte und dieser Bly mehrmals lobend zitiert, war mir klar, dass ich
den Eisenhans auch noch lesen muss. Nun habe ich mir die deutsche
Übersetzung besorgt, da sie antiquarisch inklusive Versand günstiger war als das
englische Original.
Enttäuscht
hat mich dabei nicht, dass es kein theologisches Werk war. Mir war
klar, dass da ein heidnischer Dichter am Werk war. So konnte mich
weder erstaunen, dass er den Gott der Bibel ein schlechtes Vorbild
nannte, noch dass er der Meinung war, dass im Christentum Satan der
böse Bruder von Jesus sei. Das deutet zwar auf schlechte Recherche
hin, war mir in diesem Fall jedoch ziemlich egal.
Enttäuschend
war vielmehr die Art, wie argumentierte, nämlich häufig gar nicht.
Viele seiner Behauptungen sind entweder gänzlich unbegründet, oder
dann beruft er sich oft auf Gedichte bestimmter Dichter, welche er
dann als „Argumente“ heranzuziehen versucht. Dass diese Gedichte
häufig überhaupt nicht in den jeweiligen Zusammenhang passen, mag
zuweilen den Grund in der Übersetzung haben. Aber allein eine
Behauptung damit begründen zu wollen, dass jemand etwas
Entsprechendes in ein Gedicht gefasst hat, ist mir persönlich zu
wenig.
Auch
hat mich seine blumige und metaphorische Sprache gestört. Er
gebraucht viele Bilder; er will etwa in der Seele eines jeden Mannes
sage und schreibe sieben verschiedene Charaktere mit je einer
positiven und einer negativen Seite finden. Da jeder dieser sieben
Charaktere drei bis vier verschiedene Namen trägt, wird es zuweilen
recht komplex, der Schilderung zu folgen.
Dennoch
gibt es einige Perlen zu finden in diesem Buch. Um jene soll es heute
gehen. Bly wagt sich in seinem Buch nämlich an ein sehr wertvolles
Thema heran. Er versucht, mit der Hilfe des Grimm'schen Märchens
„Der Eisenhans“ zu erklären, wie ein Junge zum Mann wird. Sein
Buch ist eine Abschnitt-für-Abschnitt-Auslegung dieses Märchens,
und jeder Abschnitt wird dabei auf die Wortwahl, Bildwahl und
Analogien aus den Mythologien und Praktiken der verschiedensten
Völker und Kulturen untersucht.
Bly
kommt dabei zu einem Ablauf des Übergangs, der sich in sehr vielen
Kulturen – obwohl sich die genauen Umstände stark unterscheiden
können – gleicht. Sehen wir uns diesen Ablauf mal an. Um es
einfacher zu machen, versuche ich, die langwierigen Erklärungen dazu
in eigenen Worten in Kürze wiederzugeben:
1.
Bindung an und Lösung von der Mutter. Das Kind bindet sich
bereits vor der Geburt, aber vielmehr noch danach, sehr stark an die
Mutter. So kann es Vertrauen aufbauen und viel Wichtiges lernen.
Diese Zeit umfasst die ersten etwa sieben bis acht Jahre.
2.
Wechsel vom „Reich der Mutter“ ins „Reich des Vaters“.
Dies geschah (und geschieht noch heute in vielen Kulturen) dadurch,
dass der Vater seine Söhne mit zu seiner Arbeit nimmt und sie in den
Fertigkeiten seines Berufs ausbildet. Dies fällt bei uns häufig
weg, da viele Väter ihre Kinder nicht an ihren Arbeitsplatz nehmen
(dürfen).
3.
Lösung vom Vater und Wechsel zum Mentor. Der Mentor ist in den
meisten Kulturen eine Gemeinschaft der älteren Männer. Diese,
welche bei uns heute im Seniorenheim weggesperrt werden. In der
christlichen Kultur war es lange Zeit der Taufpate, welcher die
Aufgabe des Mentors übernommen hatte.
Was
lernte der Junge beim Mentor? Zuerst lernte er, sich in ein neues
Umfeld einzugliedern. Interessant ist da etwa auch die Lehr- und
Wanderliteratur, da bei den wandernden Lehrlingen der Lehrmeister die
Aufgabe des Mentors übernahm. Wem das zu lange ist, der kann sich
auch mal die Ballade von J. W. v. Goethe „Der Zauberlehrling“
vornehmen. Dort erkennt man einen Lehrling, der wohl schon einige
Zeit bei seinem Meister war, aber wie er sich anhört, durfte er wohl
noch kaum selbst das Metier erlernen, sondern wurde zum Putzen und
Aufräumen abkommandiert. Und dann – endlich – als der Meister
einmal weg ist, da kann der Lehrling mal ausprobieren, was er von
seinem Meister gesehen und gehört hatte.
Bly
nennt dies den „Weg der Asche“. Man muss beim Mentor erst mal
unten anfangen. Bei den Eltern ist man bekannt, da „ist man wer“.
Beim Mentor muss man sich erst beweisen, man muss im Kleinen treu
sein, um dann die größeren Aufgaben zu bekommen. So war es in den
Lehr- und Wanderjahren häufig so, dass der Lehrling die ersten
Monate nur putzen und aufräumen durfte. Wenn der Meister damit
zufrieden war, dann begann die eigentliche „Lehre“.
Beim
Mentor darf der junge Mann erst mal sich selbst kennenlernen. Er darf
sich austoben und wachsen lernen. Man lernt sich selbst und seine
Seele, seine Wunden, seine Stärken und Schwächen ganz neu kennen.
In diese Zeit fällt auch eine Zeit der Trauer, denn das Kind, das
man mal war, das stirbt langsam – und nach dieser Zeit ist man ein
neuer Mensch – ein Mann. In manchen Kulturen gibt es am Ende dieser
Zeit einen neuen Namen und der junge Mann wird seinen Eltern ganz neu
vorgestellt, als ob sie ihn noch gar nicht gekannt hätten.
Ein
wichtiger Punkt ist auch, dass man in dieser Zeit lernen muss, sich
zu entscheiden. Man muss sich fragen, was einem wichtig ist und was
nicht. Muss lernen, Prioritäten zu setzen.
Am
Ende dieser Zeit kommt die Entdeckung. Im Märchen des Eisenhans
lernte der junge Königssohn viel und wurde wegen seines Könnens am
Schluss entdeckt. Die Leute wollen wissen, wer das ist, weil sein
Können auffällt.
Eine
solche Zeit des Mentors fehlt uns heute. Viele junge Männer wollen
den dritten oder oft auch den zweiten und dritten Schritt
überspringen. Das kann nicht gut kommen, denn der Mensch ist immer
noch derselbe, er hat immer noch dieselben Bedürfnisse in sich.
Viele
Probleme lassen sich auf diesen Mangel an Übergang in die Männerwelt
zurückführen. Etwa die Probleme, die in der Pubertät auftauchen,
wenn Jungen sich plötzlich von ihren Eltern distanzieren, was zu
Streit führt. Sie merken, dass sie eigentlich woanders sein sollten,
bei einem Mentor. Doch es mangelt an Mentoren und am Wissen, was
diese weitergeben sollen.
Der
Tenor lautet heute: Du musst dich selbst anpreisen, kannst nicht
warten, bis du entdeckt wirst. Diese Selbstprostitution
(Selbstzurschaustellung) kann dazu führen, dass manche junge Männer
mit halbgegorenen Fähigkeiten schnell die Karriereleiter erklimmen,
aber irgendwo steckenbleiben und nicht weiterkommen, weil sie zu
ungeduldig waren und viele wichtige Charaktereigenschaften nicht
gelernt haben.
Es
ist alarmierend, dass zunehmend mehr Ausbildungsbetriebe darüber
klagen, dass die Bewerber nicht ausbildungsfähig sind, weil es an
den grundlegendsten Fähigkeiten wie etwa Zuverlässigkeit,
Pünktlichkeit und Ordnung fehlt. Das hat mit einem systematischen
Versagen der Gesellschaft zu tun.
Auch
die sogenannte Midlife-Crisis lässt sich darauf zurückführen, dass
die Menschen in ihrer Lebensbildung einen Schritt übersprungen
haben, nämlich zumindest den dritten. In der Zeit sollten nämlich
die Menschen selbst zu Mentoren heranwachsen und merken, dass ihnen
etwas fehlt, was sie weitergeben sollten. Sie beginnen rastlos danach
zu suchen, was genau ihnen fehlt – und niemand ist da, der ihnen
dabei helfen kann.
So
weit meine Gedanken zu dem, was ich von Bly gelesen habe. Am Ende
bleibt eine Leere übrig: Es fehlen die Hinweise darauf, wie man es
besser machen kann. Wertvolle Analysen, ich nenne sie „Perlen“,
doch keinerlei Verbesserungsvorschläge oder Hinweise darauf, was man
damit machen kann. Wer hat eine Idee?
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen