Wenn
wir Martin Luthers Rede von der Ehe als ein „weltlich Ding“
verstehen wollen, so müssen wir zuerst einen Blick in die Ehe- und
Familienlehre des Mittelalters werfen.
Als
das Christentum mit der so genannten „konstantinischen Wende“
unter Kaiser Konstantin dem Großen legalisiert und dann unter Kaiser
Theodosius dem Großen im Jahre 380 nach unserer Zeitrechnung zur
Staatsreligion erhoben wurde, hatte dies einen großen Einfluss auf
die damalige Familienpolitik. Seit Konstantin wurde das
Scheidungsrecht stark eingeschränkt: Scheiden lassen durfte man sich
nebst dem Ehebruch nur noch, wenn der Ehepartner ein Mörder war,
Zauberei oder Grabschändung betrieb.1
Konstantin
wird zumeist noch in die römische Spätantike angesiedelt. Er hatte
seinen Regierungssitz an das altgriechische Byzantion verlegt, und
benannte es in Konstantinopel um. Heute heißt dieser Ort Istanbul.
Danach wurde das römische Reich aufgeteilt. Das weströmische Reich
ging im Zuge der Völkerwanderung gegen Ende des 5. Jahrhunderts
unter. Durch Missionierung wurden auch die neu zugewanderten
germanischen Völker christianisiert.
Das
Mittelalter kennt drei unterschiedliche Konzepte von Familie.
Zunächst das verwandtschaftliche Konzept, nach welchem die Familie
die Menge aller Menschen ist, die miteinander verwandt oder
verschwägert sind. Im Mittelalter hat die Verwandtschaft starke
Bande geknüpft, auf die man sich verlassen konnte. Zugleich behielt
die Familie auch weiterhin die Bedeutung des römischen „Domus“,
also des Hauses, und meinte damit Besitz und Bewohner eines Hauses
unter der Aufsicht des Familienvaters. Eine dritte Bedeutung kam dem
explizit christlichen Begriff der „geistlichen Familie“ zu. Hier
kam zu den bisherigen Bedeutungen der Familie auch die neue
Verwandtschaft durch die Gemeinde hinzu, insbesondere der Taufpaten
im Falle der seit dem Beginn des Mittelalters häufigen Kindertaufe.
Michael Mitterauer schreibt dazu:
„Die Taufpatenschaft ist
keineswegs eine urchristliche Institution. Sie entstand aus der
Bürgschaft, die Mitglieder der christlichen Gemeinden für
Erwachsene abgeben mussten, die durch die Taufe aufgenommen werden
wollten. Bei Kindern christlicher Eltern war eine solche Zeugenschaft
nicht erforderlich. Dafür musste bei der Taufe von Säuglingen eine
erwachsene Person stellver-tretend für sie sprechen. Zunächst waren
das Vater und Mutter. Seit dem vierten Jahrhundert verschmolzen die
beiden Formen in der Taufliturgie. Auch bei Kleinkindern wurden
Bürgen herangezogen, die jedoch nicht – wie bisher bei der
Erwachsenentaufe – für das Vorleben der Täuflinge einzustehen
hatten, sondern verpflichtet waren, für eine christliche Erziehung
der Kinder zu sorgen.“2
So
wurden auch die Taufpaten bald zu den „Eltern“ dazu gezählt und
waren mit verantwortlich für die Erziehung.
Die
Ehelehre des Mittelalters war stark durch den Kirchenvater Augustinus
von Hippo beeinflusst. In seiner Schrift „De bono conjugali“
(„Vom Gut der Ehe“) legt er seine wichtigsten Grundlinien der
Ehelehre dar. Er fragt sich zunächst, weshalb die Ehe denn ein Gut
sei, und antwortet:
„Und sie scheint mir ein solches
nicht nur zu sein wegen der Zeugung von Kindern, sondern gerade auch
wegen der von Natur aus gegebenen Gemeinschaft in einer
Unterschiedlichkeit des Geschlechts.“3
Auch
wenn Augustinus die Ehe in erster Linie als den Ort sieht, an welchem
Kinder gezeugt und erzogen werden, ist dies doch nicht der einzige
Grund für die Ehe. Er hat auch kein Problem damit, dass die
ausgelebte Sexualität innerhalb einer Ehe nicht nur für die Zeugung
von Kindern genutzt wird.4
Ein weiteres wichtiges Gut der Ehe ist die Treue. Hierzu führt er
die Aussage Pauli an, dass in der Ehe niemand sich selbst, sondern
beide einander gegenseitig gehören.5
Für Augustinus ist die Ehe ein Bund, ein Sakrament, und deshalb
unauflöslich. Der Bund der Ehe bleibt für ihn bestehen – außer
im Fall von Ehebruch oder Tod.6
Dieses
augustinische Eheverständnis war für das gesamte Mittelalter
maßgeblich. Auch die Reformatoren schlossen sich dem an. Martin
Luther war ein Augustinermönch, und auch der Genfer Reformator
Johannes Calvin war ein ausgezeichneter Augustinuskenner, was sich in
seinen Schriften deutlich niederschlug. Auch wenn man Luther gern mit
der Ehe als „weltlich Ding“ in seinem „Traubüchlein“
zitiert, wird dabei oft der Zusammenhang vergessen:
„Demnach, weil Hochzeit und
Ehestand ein weltlich Geschäft ist, gebührt uns Geistlichen oder
Kirchendiener nichts, darin zu ordenen oder regieren, sondern lassen
einer iglichen Stadt oder Land hierin ihren Brauch und Gewohnheit,
wie sie gehen.“7
Bereits
im nächsten Abschnitt berichtigt Luther seine Leser, dass damit
lediglich die äußere Form der Trauung gemeint ist:
„Weil man denn bisher mit den
München und Nonnen so trefflich groß Gepränge getrieben hat in
ihrem Einsegenen, so doch ihr Stand und Wesen ein ungöttlich und
lauter Menschengeticht ist, das keinen Grund in der Schrift hat,
wieviel mehr sollen wir diesen göttlichen Stand ehren und mit viel
herrlicher Weise segenen, beten und zieren? Denn ob's wohl ein
weltlicher Stand ist, so hat er dennoch Gottes Wort für sich und ist
nicht von Menschen ertichtet oder gestiftet wie der Münche oder
Nonnen Stand, darumb er auch hundertmal billicher soll geachtet
werden denn der klösterliche Stand, welcher billich der
allerweltlichst und fleischlichst soll geachtet werden, weil er aus
Fleisch und Blut und allerdinge aus weltlicher Witze und Vernunft
erfunden und gestift ist.“8
Hier
wird klar, dass auch für Martin Luther die Ehe von Gott und nicht
als „weltlich Ding“ gestiftet wird. So war also Augustinus mit
seiner Ehelehre für die Zeit des Mittelalters und auch die
Reformation prägend. Luther schloss sich Augustinus an und sagte
lediglich, dass die örtlichen Bräuche einer Eheschließung ein
„weltlich Ding“ sind. Wenn jetzt also der Staat sagt, dass die
Ehe standesamtlich festgehalten werden soll, so ist das etwas,
wogegen wir nicht aufbegehren müssen, denn dieser Brauch ist laut M.
Luther „ein weltlich Ding“. Was aber eine Ehe ist (und was keine
Ehe ist), das ist auch nach ihm keinesfalls ein weltlich Ding, denn
Gott hat die Ehe geschaffen und definiert sie somit auch.
1Siehe
Saar, Stefan Chr., Ehe – Scheidung – Wiederheirat, S. 74
2Mitterauer,
Michael, in: Gestrich / Krause / Mitterauer, Geschichte der Familie,
S. 187
3Augustinus,
Aurelius, On the Good of Marriage, in: Schaff, Philip, Nicene and
Post-Nicene Fathers, Series I, Volume 3, Abschnitt 3, S. 585, Übs.:
JE
4Ebd.,
Abschnitt 12, S. 593
5Ebd.,
Abschnitt 4, S. 586
6Ebd.,
Abschnitt 7, S. 589
7BSLK,
S. 528
8BSLK,
S. 529
Große Teile dieses Texts erschienen zunächst in meiner Auseinandersetzung mit dem EKD-Familienpapier (S. 25 - 27). Für diesen Beitrag wurde Einzelnes leicht angepasst und ergänzt.
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