Schon wieder Homer? Mag
sich der Leser fragen, der gut aufgepasst hat. Im letzten Monat bin
ich kurz auf Homers Buch Ilias eingegangen. Die Odyssee ist
gewissermaßen der Nachfolgeband der Ilias. Und dann doch auch wieder
nicht. Es sind beides eigenständige Bücher, bei denen jeweils
andere Personen und Ereignisse im Zentrum stehen. Ist Odysseus in der
Ilias eine zwar wichtige, aber dennoch eher nebensächliche Figur,
rückt er in der Odyssee in den Mittelpunkt. Die Ilias hört auf,
bevor der Trojanische Krieg zu Ende ist. Man weiß noch nicht, wie er
ausgeht. In der Odyssee erfährt man davon – allerdings erst nach
einer Weile.
Die Odyssee ist spannend
geschrieben – und zuweilen auch ein wenig verwirrend. Das ist
Absicht, es gehört zu Homers Schreibstil, dass er gern mit
Rückblicken und Parallelhandlungen arbeitet. So ist das Buch nicht
linear aufgebaut, sondern eher wie ein Krimi, wo auch oft mit
Rückblenden gearbeitet wird.
Am Anfang der Geschichte
ist Odysseus auf der Insel Ogygia, wo ihn die Meernymphe Kalypso in
einer Art Gefangenschaft hält. Bereits seit sieben Jahren befindet
er sich dort, als die Götter auf dem Olymp beschließen, Odysseus
soll befreit werden und nach Hause zurückkehren können. In der
Zwischenzeit ist Telemachos, der Sohn von Odysseus, in Ithaka. Seine
Mutter Penelope wird von vielen Männern bestürmt, die sie heiraten
wollen. Sie jedoch will auf ihren Mann Odysseus warten. Die Göttin
Pallas Athene geht nun zu Telemachos und erklärt ihm, dass sein
Vater bald nach Hause kommen werde. Sie macht ihm damit Mut, seine
Mutter weiterhin zu unterstützen und treu auf Odysseus zu warten.
Dann schickt der
Göttervater Zeus seinen Boten Hermes los, um Kalypso klar zu machen,
dass sie jetzt endlich Odysseus loslassen muss. Endlich lässt sie
ihn ziehen. Odysseus baut sich ein Floß, mit dem er das Meer
durchqueren will. Doch der Meeresgott Poseidon schickt einen Sturm –
und das Floß kentert. Mit letzter Mühe kann sich unser Held auf das
Festland Scheria retten. Dort ist die Heimat der Phaiaken. Er trifft
Nausikaa, die Tochter des Phaiakenkönigs Alkinoos. Sie nimmt ihn in
das Vaterhaus mit und damit beginnt der Hauptteil der Geschichte,
nämlich die Erzählungen der Irrfahrt von Odysseus. Nun berichtet er
von seinen Erlebnissen, die er mit Riesen, Zauberinnen, Sirenen,
Rindern oder auch mal mit der griechischen Unterwelt, dem Hades,
gemacht hat. Dieser Teil ist sehr unterhaltsam und bisweilen auch ein
wenig spöttisch zu lesen.
Ab dem 13. Teil des
Buches wird die Rahmenhandlung wieder aufgenommen. Odysseus ist nun
zu Ende mit seiner Erzählung und wird nach Ithaka zu seiner Familie
gebracht. Doch – Moment mal, da kommt er nicht einfach hin. Dort
ist nämlich eine ganze Horde von Freiern, die noch immer seine Frau
Penelope belagern. Odysseus ist noch nicht stark genug, um es mit
ihnen aufzunehmen. So kommt Pallas Athene ein weiteres Mal und
verwandelt ihn in einen Bettler. Als solcher kehrt er in sein eigenes
Haus zurück, wo ihn niemand erkennt, stärkt sich und bereitet sich
darauf vor, die Freier zu bekämpfen.
Am Ende besiegt er seine
Feinde mit dem Bogen und gibt sich nun endlich auch seiner Frau zu
erkennen. Diese jedoch will ihm erst gar nicht glauben. Sie wendet
eine List an, indem sie befiehlt, man möge ihm das Bett, das
inzwischen draußen stünde, vorbereiten. Daraufhin ist er gekränkt,
weil er davon ausging, dass sein Bett noch immer an der alten Stelle
war: „O Frau! Wahrhaftig! Ein herzkränkendes Wort hast du da
gesprochen! Wer hat mir das Bett woanders hingestellt? Schwer wäre
es, und wäre er auch noch so kundig, wenn nicht ein Gott selbst käme
und es nach seinem Willen leicht an eine andere Stelle setzte. [...]“
(S. 301) Daran erkannte sie, dass es tatsächlich ihr Odysseus war –
die Rückkehr ist nach langen 20 Jahren endlich vollendet.
Die Odyssee ist ein
Roman. Ein Helden-Epos. Eine erfundene Geschichte. So viel ist klar.
Und doch ist sie zugleich eine Geschichte, die von großer
Menschenkenntnis zeugt. Es werden viele menschliche Leidenschaften
angesprochen und der Umgang damit. Mich persönlich bewegt die von
Homer erzählte große Treue von Odysseus und Penelope. Zunächst ist
da die Frau, die 20 Jahre nach dem Fortgang ihres Mannes in den Krieg
auf ihn wartete, obwohl sich ihre Halle Tag für Tag mit einer großen
Auswahl an Männern füllte, die sie alle heiraten wollten. Sie hätte
sich bloß für einen von ihnen entscheiden müssen. Ihr Mann war
verschollen, von den meisten seiner Kollegen im Krieg war schon
längst die Kunde ihres Todes im Umlauf. Und sie wartete geduldig auf
ihren Mann. Und dann ist da der große Held Odysseus, der starke
Mann, der alles tat, um möglichst schnell zu seiner Frau nach Hause
kommen zu können. Auch er war begehrt – er hatte unterwegs viele
Möglichkeiten, sich zu verweilen.
Und dann gibt es auch in
dieser Geschichte eine Menge, die wir fürs Leben als Nachfolger Jesu
Christi lernen können. Manchmal ist die Sünde wie die Sirenen in
der Odyssee. Es gibt zwei Arten, wie man sich vor ihnen schützen
kann: Entweder man verstopft sich die Ohren und hört nicht hin, oder
aber man lässt sich an den Schiffsmast fesseln. Das Zweite kommt
jedoch auch bei Odysseus einer Folter gleich. Die Sirenen singen,
rufen und locken unwiderstehlich. So ist auch die Sünde. Wenn wir
unsere Ohren und Gedanken nicht mit etwas Besserem verstopfen, wird
sie uns foltern – oder auf den Klippen auflaufen lassen.
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