auch 18 Jahre nach der
Kasseler Erklärung (s.u.) wird in einigen Gemeindekreisen noch immer
auf die Berliner Erklärung verwiesen, die die Pfingstbewegung als
„Geist von unten“, also als eine dämonische Bewegung, einstufte.
So möchte ich das 105-jährige „Jubiläum“ der Berliner
Erklärung dazu nutzen, um auf die Hintergründe und die Entstehung
dieser Erklärung hinzuweisen.
Sommer 1907, Kassel
Um die Vorgeschichte der
BE zu verstehen, ist es wichtig, die Vorgänge in Kassel zu kennen.
Bei der jährlich im Frühjahr stattfindenden „Brieger Woche“,
einer Art Konferenz im heute polnischen Niederschlesien, konnte
Pastor Johannes Paul von seinen Erlebnissen berichten, die er in der
jungen Pfingstbewegung in Norwegen hatte. Bei dieser Veranstaltung
war Heinrich Dallmeyer dabei, der ein Evangelist aus Kassel war.
Dallmeyer reiste daraufhin im Juni zu einer Evangelisation in
Hamburg, wo zwei Schwestern aus Norwegen waren, die die Geistestaufe
und die Gabe der Zungenrede bekommen hatten. Daraufhin lud er die
Beiden mit nach Kassel ein, wo sein Bruder ein Blaukreuzhaus leitete
und begann mit täglichen Veranstaltungen. Zu Beginn war es eine
wirklich außerordentlich gesegnete Zeit, in der eine große
Erweckung ausbrach, viele Sünden aufgedeckt, bekannt und Menschen
innerlich gereinigt wurden.
Mit der Zeit vermischten
sich aber immer mehr menschliche Einflüsse mit dem Wirken des
Heiligen Geistes. Die zwei Schwestern aus Norwegen erkannten das und
machten am 25. Juli klar, dass das, was jetzt in Zungen gesprochen
werde, nicht von Gottes Geist sei. Als Dallmeyer darauf nicht
reagierte, verließen die Beiden die Versammlung und kamen nicht mehr
zurück. Die ganzen Ausschreitungen und Tumulte begannen zu der Zeit
– und wurden so stark, dass die Versammlungen am 1. August unter
Polizeiaufgebot beendet werden mussten. Noch am 21. Juli hatte der
Evangelist Elias Schrenk festgestellt, dass die Bewegung von Gott
sei. Am Am 28. Juli schrieb er Dallmeyer einen Brief mit der Bitte,
die öffentlichen Versammlungen einzustellen. Doch Dallmeyer machte
weiter – und ließ sich die Versammlungen entgleiten.
Die Berliner Erklärung
Nach diesen Vorkommnissen
wechselte Dallmeyer das Lager und begann, die neue Bewegung zu
bekämpfen. Er war der Ansicht, dass alles Zungenreden von einem
Geist „von unten“, also aus dämonischen Einflüssen, kommen
müsse. Inzwischen gab es im Gnadauer Verband drei Lager: Die Freunde
der Pfingstbewegung, deren Gegner, und die Neutralen. Dies führte
immer wieder zu ganz schwierigen Situationen, weshalb Elias Schrenk
1909 von Heinrich Dallmeyer Material über die ganze Bewegung
wünschte. Dallmeyer selbst hat an der Sitzung in Berlin nicht
teilgenommen. Walter Michaelis, der damals der Leiter des Gnadauer
Verbandes war, lud für den 15. September 1909 nach Berlin ein.
In einer „19stündigen
Mammutsitzung“ (Ernst Giese, S. 98) kam es zu dem Dokument, das
heute als „Berliner Erklärung“ bekannt ist. Dort wird
festgehalten, dass
1. die Pfingstbewegung
von unten sei.
2. es ihnen unmöglich
sei, eine solche Bewegung als von Gott geschenkt anzusehen.
3. die Gemeinde Gottes in
Deutschland darüber Buße tun müsse, dass eine solche Bewegung nach
Deutschland kommen konnte.
4. die Lehre vom „reinen
Herzen“ (also der anhaltende Zustand totaler Sündlosikgkeit)
abgelehnt würde.
5. Pastor Paul nicht mehr
als Leiter und Lehrer innerhalb des Verbandes angesehen werden könne.
6. sie nicht auf ein
neues Pfingsten, sondern auf die Wiederkunft des Herrn warten würden.
(Zusammenfassung in
meinen Worten, genauer Wortlaut nachzulesen zum Beispiel bei
Wikipedia)
Anmerkungen von Ernst
Giese
Ernst Giese hält
verschiedene Dinge fest, die bei der Ausarbeitung der Berliner
Erklärung gelaufen sind, welche zeigen, dass diese Erklärung „nicht
auf umfangreichem und zuverläßigem Material“ (Giese, S. 108ff)
beruhen (ebenfalls meine eigene Zusammenfassung der Punkte bei
Giese):
1. Die Erklärung ist
privat, es gab keine öffentliche Einladung, sondern die Eingeladenen
wurden im Voraus selektiert.
2. Es gibt kein Protokoll
der Sitzung, auch haben die meisten zwar für die Resolution
gestimmt, aber sie nicht selbst unterschrieben.
3. Sie ist nicht
einstimmig beschlossen, da sich drei der Geladenen der Stimme
enthielten.
4. Die angeklagte Seite
wurde nicht nach Berlin eingeladen, und konnte sich deshalb weder
verteidigen, noch über Missverständnisse aufklären.
5. Sie ist ohne jegliche
Selbstkritik.
6. Sie beruht auf
falschem Material, das nichts mit Pastor Paul und der deutschen
Pfingstbewegung zu tun hatte.
7. Sie ist anmaßend
(wegen der Formulierung zu Pastor Paul)
8. Sie ist übereilt,
denn schon 1910 musste Michaelis selbst zugeben, dass die Lehre vom
„reinen Herzen“, wie sie von Pastor Paul gelehrt wurde, keine
Sündlosigkeit im absoluten Sinn lehre.
Obwohl es also nötig
gewesen wäre, diese Erklärung zurückzunehmen, oder zumindest
gründlich zu überarbeiten, wurde sie stattdessen im Gnadauer
Verband 1910 bestätigt und zu den offiziellen Dokumenten des
Verbands hinzugefügt. Die Christenheit hat in Deutschland einen
unheilbaren Riss bekommen.
Die Kasseler Erklärung
Am 1. Juli 1996 haben
sich Vertreter der Deutschen Evangelischen Allianz (DEA) und des
Bundes Freikirchlicher Pfingstgemeinden (BFP) getroffen und eine
gemeinsame Erklärung herausgegeben, die die Zusammenarbeit
ermöglichen soll. Diese hat die Berliner Erklärung nicht
aufgehoben, denn keiner der ursprünglichen Unterzeichner von Berlin
war noch am Leben, der diese Erklärung noch hätte widerrufen
können. Aufgrund dieser Kasseler Erklärung ist die örtliche
Zusammenarbeit von Gemeinden der Evangelischen Allianz mit
Pfingstgemeinden endlich möglich geworden.
Vor 5 Jahren, zur 100.
Jährung der Berliner Erklärung haben der Gnadauer Verband und der
Mühlheimer Verband eine gemeinsame Erklärung herausgegeben, in
welcher sie diese Zusammenarbeit im Rahmen der Evangelischen Allianz
loben und diese weiterhin fördern wollen. Die historischen Dokumente
hätten jetzt keine Bedeutung mehr, sondern man wolle gemeinsam
vorwärtsgehen. (Exakter Wortlaut hier)
Verwendete Literatur
Giese,
Ernst, Und flicken die Netze, Ernst Franz Verlag Metzingen, 2.
Aufl. 1987
Hollenweger,
Walter, Handbuch der Pfingstbewegung, Dissertation, 1965,
Online-Version [URL:
https://archive.org/download/pts_handbuchderpfings_1422_1/pts_handbuchderpfings_1422_1.pdf]
Schmidgall,
Paul, Von Oslo nach Berlin, Leuchter Edition Erzhausen, 1.
Aufl. 2003
Zopfi,
Jakob, … auf alles Fleisch, Dynamis Verlag Kreuzlingen, 1.
Aufl. 1985
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