Wenn die Politik zur
Religion wird
Genau betrachtet haben
wir Religionsfreiheit – zumindest in der Theorie und im Gesetz
verankert. Die Trennung von Staat und Kirche – die eine sehr gute
Sache ist – besagt, dass jeder Mensch dem Glauben folgen darf, dem
er möchte. Und dieselbe Trennung verbietet es dem Staat zugleich –
auch hier muss wieder hinzugefügt werden: zumindest in der Theorie –
sich in die Sache der Kirche direkt einzumischen. Problematisch wird
die Sache allerdings dann, wenn sich die Politik mit ihren
Vorstellungen und Behauptungen zu einer neuen Religion macht. Und
genau das ist immer wieder dort der Fall, wo das Fehlen eines
Glaubens als ein Mehr an Objektivität propagiert wird. Man kann dies
vom Untergang großer Mächte im Altertum bis in unsere heutige Zeit
beobachten. Ein Beispiel, das hier besonders herausragt, war die
Französische Revolution, bei welcher der Glaube an die Vernunft zur
neuen Göttin wurde, als die Kirche Notre Dame geplündert,
geschändet und zur Hochburg einer neuen Vernunftreligion erklärt
wurde.
Eine atheistische Politik
beinhaltet immer ein großes Manko, das sehr schnell durch eine
Religion ersetzt wird, die in diese Politik gar messianische
Erlösungshoffnungen setzt. Leicht zu beobachten ist dies auch in
unserer heutigen Politik des sogenannten Sozialstaats.
Linksorientierte Politik sieht in einem „Mehr an Staat“ die
Möglichkeit, ein Paradies auf Erden aufzubauen. Wohin das führt,
hat uns eigentlich ein Jahrhundert der Sozialismen bereits gezeigt.
Je größer das Mehr an Staat wird, desto weniger hat der einzelne
Mensch noch etwas zu sagen. Die Theorie von diesem Mehr an Staat geht
so weit, dass sie den Bürger eines Sozialstaats vor sich selbst
schützen will. Wer nämlich nicht einverstanden ist mit diesem Mehr
an Staat, der hat einfach noch nicht kapiert, wie gut das für alle
ist, deshalb muss er zu seinem Besten gezwungen werden. Irgendwann,
so sagt man sich, wird er schon noch dankbar sein.
Diese neue Religion
linksorientierter Politik muss natürlich auch ihre eigene Ethik
haben. Diese Ethik ist verpflichtend, denn sie wird durch Gesetze,
Begünstigungen und Steuern erklärt. Gesetze und Steuern steuern
unser Denken und dadurch auch unsere Ethik. Das erste Gebot dieser
Ethik lautet: Der Kapitalismus ist der größte Feind des Menschen.
Dies wird deutlich durch das System von progressiven Steuersätzen
nach oben und Unterstützung und Begünstigungen nach unten. Die
Doppelmoral, dass Politiker, die solches vertreten, auch durchaus mal
die Hand nach höheren Verdiensten öffnen können, stört dabei
niemanden. Der Kapitalismus ist immer noch der größte Feind des
Menschen. Denen, die mehr Geld haben, muss es weggenommen werden,
damit es denen zu Gute kommt, die weniger haben. Somit wird das Geld,
für das man arbeitet, zu etwas Bösem. Wer nun die Frage stellt:
Wozu soll man denn noch arbeiten gehen, wenn andere das Geld
hinterher geworfen bekommen, so findet sich darauf keine Antwort.
Arbeiten gehen muss er trotzdem, damit die Staatskassen gefüllt
werden.
Das zweite Gebot lautet:
Du musst immer politisch korrekt sein. Und was nun gerade politisch
korrekt ist, das ändert sich bekanntlich von Tag zu Tag. Wo man
früher noch von „Zigeunern“ sprach, muss es heute anders heißen.
Wie es jedoch korrekt lautet, weiß niemand so ganz genau. Eine Zeit
lang hieß es „Sinti und Roma“, weil das die zwei größten
Gruppierungen des fahrenden Volkes war, aber dadurch werden alle
anderen Gruppen auch diskriminiert, insbesondere jene, die es nicht
mögen, mit Sinti und Roma in einen Topf geschmissen zu werden. Unter
den Gruppierungen in Rumänien gibt es eine Bewegung, die sich gerade
gegen alle neueren Begriffe wehrt und für den Gebrauch des Wortes
„Tsiganos“ (von dem sich unser politisch inkorrekter Begriff
ableitet) kämpft.
Das dritte Gebot lautet:
Alle sind gleich, nur wir Politiker, die uns für euer Bestes
einsetzen, wir sind gleicher. Dem einzelnen Menschen darf nicht
getraut werden. Demokratie ist etwas Schönes, aber erst dann, wenn
wir alle von unserem Standpunkt überzeugt haben. Man darf dem
Menschen bloß nicht zu viel zutrauen, sonst könnte es noch einmal
passieren, dass sie – wie anno 1989 beim Mauerfall – das Richtige
tun (nämlich auf die Straße gehen und sich empören) aber zum
falschen Zweck. Schließlich war es ja damals so, dass die Menschen
sich gegen ihr Bestes gewehrt haben. Sie hatten alle genügend
Arbeit, waren alle gleich, waren sozial versorgt, waren in
wunderbarer Sicherheit, aber irgendwie waren sie noch nicht weit
genug vor sich hin evolutioniert, um schon so weit zu sein, dass man
sie zu ihrem Besten vom bösen Kapitalismus befreien konnte. Somit
beginnt dasselbe Experiment ein zweites Mal – diesmal etwas
großflächiger.
Eine merkwürdige Angewohnheit religiöser Menschen (zumindest der Christen) scheint es zu sein, die Ansichten anderer ebenfalls zur bloßen Religion herabzustufen. Es stimmt allerdings, dass Ansichten, sobald sie ideologisch werden, in die Gefahr geraten, genausoviel Schaden anzurichten, wie der Glaube an einen Gott.
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