Der Brief der Freude
Paulus und Timotheus, Knechte Jesu Christi, an alle Heiligen in
Christus Jesus, die in Philippi sind, samt den Aufsehern und
Diakonen: Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und
dem Herrn Jesus Christus! Ich danke meinem Gott, so oft ich an euch
gedenke, indem ich allezeit, in jedem meiner Gebete für euch alle
mit Freuden Fürbitte tue, wegen eurer Gemeinschaft am Evangelium vom
ersten Tag an bis jetzt, weil ich davon überzeugt bin, daß der,
welcher in euch ein gutes Werk angefangen hat, es auch vollenden wird
bis auf den Tag Jesu Christi. (Philipper 1, 1 - 6)
Der
Philipperbrief ist der Brief der Freude. In keinem anderen Brief wird
die Freude so oft erwähnt, kein anderer Brief zeugt mit dem Stil, in
welchem er geschrieben ist, so sehr von der Freude. Und kein anderer
Brief fordert uns so oft auf, dass wir uns freuen sollen. Das ist das
wichtigste Thema des Briefes an die Philipper. Paulus schreibt noch
viel mehr darin, aber alles, was er schreibt, soll uns zur Freude
führen. Paulus
schreibt diesen Brief aus Rom, wo er in Gefangenschaft ist. Zu der
Zeit, als er den Brief schrieb, durfte er in einer Mietwohnung leben,
die vergitterte Fenster und bewachte Türen hatte, aber er lebte dort
drin doch für sich und durfte Besuch empfangen. So war gerade
Timotheus auf Besuch bei ihm, den er dann nach Philippi schicken
wollte. Das schreibt er dann im Brief auch.
Paulus,
der Mann der Freiheit, der große Evangelist, Apostel, Pastor und
Gründer von vielen neuen Gemeinden, der Mann mit den Plänen, wie er
die ganze Welt auf den Kopf stellen und für Christus gewinnen kann,
dieser Mann sitzt im Gefängnis und schreibt übersprudelnd von der
Freude. Komisch, nicht wahr? Er hätte jeden Grund, sich verbittert
zurückzuziehen und zu denken, dass Gott ihn verlassen habe. Aber das
tut Paulus nicht. Stattdessen weiß er, dass Freude nicht von den
äußeren Umständen abhängt, sondern von seiner Reaktion auf diese
Umstände. Wir finden in den Versen 3 – 6 in diesem ersten Kapitel
insgesamt fünf Gründe, weshalb Paulus so voll Freude auch von
diesem dunklen Ort in Rom schreiben konnte. Er möchte seine Gemeinde
in Philippi informieren, wie es ihm geht. Sie haben gesehen, dass er
im Gefängnis ist, waren darüber betrübt und haben ihm Geld
geschickt und auch ein paar Fragen gestellt. So packt er die
Gelegenheit am Schopf und schreibt ihnen diesen Brief.
1.
Dankbarkeit
Der
erste Grund für die Freude des Paulus ist seine Grundhaltung der
Dankbarkeit. Es ist auffällig, dass er fast alle Briefe mit einem
Gebet anfängt, in welchem er Gott für die Gemeinde dankt. Die
einzige und sehr auffällige Ausnahme ist der Galaterbrief. Dort
kommt er sofort zur Sache, denn es gibt einige sehr böse
Geschehnisse in diesen Gemeinden, er hat von Leuten erfahren, die
kurz davor waren, dem Glauben den Rücken zu kehren und versucht
haben, andere dort mit hineinzureißen. Aber sonst haben wir in allen
Briefen am Anfang den Teil mit der sogenannten Danksagung, also ein
Gebet zu Gott, in dem Paulus für die Gemeinde dankt und insbesondere
auch erwähnt, was er an den Gemeinden gut findet.
Dankbarkeit
ist eine Grundhaltung des Menschen. Wir haben sehr oft eine
Grundhaltung der Unzufriedenheit. Wenn man unzufrieden ist, so sieht
man nur das, was man gerne anders hätte. Aber Paulus hat sich da
etwas anderes angewöhnt: Er sucht immer zuerst nach dem, was er
positiv anerkennen kann. Es ist faszinierend, wie er im ersten Brief
an die Korinther, in der er ja, wie wir wissen, drei Kapitel lang
über den rechten Gebrauch der Geistesgaben geschrieben hat, wo es
daran doch so viel zu korrigieren gibt, trotzdem an erster Stelle
dafür dankt, „dass ihr keinen Mangel habt an irgend einer
Gnadengabe“ (1. Kor. 1, 7).
Natürlich
– es gab viel, was die Gemeinden noch zu verändern hatten.
Übrigens auch in Philippi. Da kommen viele Ermahnungen und
Ermutigungen zur Veränderung nach. Aber zuerst stellt Paulus das
heraus, was es zu würdigen gibt, und dankt dafür Gott. Auch
für uns ist es wichtig, dass wir eine Kultur der Dankbarkeit leben
und fördern. Viel zu oft leben wir nach dem Motto „ned gschumpf
isch gnug globt“. Wir sprechen irgendwann nur noch das an, was uns
stört, und verändern damit auch unseren Blickwinkel, weil wir dann
auch nur noch das sehen, was nicht gut ist. Alles andere ist dann für
uns wie selbstverständlich. Aber eigentlich ist es das nicht, denn
viele Menschen haben gar nichts von alledem, was für uns
selbstverständlich ist.
Die
innere Haltung der Dankbarkeit zeigt sich äußerlich in dem, wie wir
beten, aber auch dadurch, wie wir miteinander umgehen. Wer die
Haltung der Dankbarkeit hat, der schaut sich nach dem um, wofür er
„Danke!“ sagen kann. Bei Paulus sehen wir, wie er zugleich Gott
dankt, aber dies so tut, dass klar wird, dass er zugleich auch den
Leuten in Philippi dankt. Es
ist also auf der einen Seite eine Dankbarkeit gegenüber Gott, aber
zugleich ist er sich auch nicht zu gut dafür, das, was er kann, auch
bei den Menschen positiv zu erwähnen. Er zeigt hier, dass es für
ihn nicht selbstverständlich ist, dass sie an ihn gedacht haben und
für ihn sorgen möchten. Er sagt also gewissermaßen auch den
Philippern danke für ihre Anteilnahme und Hilfe. Freude kommt aus
der inneren Haltung der Dankbarkeit.
2.
Erinnerung
Paulus
dankt Gott für die Philipper, und zwar „sooft ich an euch
gedenke“. Er erinnert sich immer wieder an das, was er mit ihnen
zusammen erlebt hat, wie er zu ihnen gekommen war und von Jesus
erzählt hat. Und wie es manche gab, die das Evangelium annahmen und
sogleich bereit waren, auch mitzuhelfen, dass noch mehr Leute davon
erfahren sollten. Er erinnert sich, wie er in Philippi einer Frau den
Wahrsagegeist ausgetrieben hat und wie daraufhin das Volk gegen
Paulus aufgewiegelt wurde, so dass man Paulus sogar dort ins
Gefängnis tat. Und doch hatten diese Menschen ihn nicht verlassen.
Es war eine junge, brennende, feurige Gemeinde, die bereit war, alles
zu geben, damit Menschen bekehrt wurden.
Und
dann erinnert er sich auch, wie die Philipper sich immer wieder
erkundigt hatten, wie es ihm gerade geht – und als sie erfahren
haben, dass er in Rom in dieser Gefangenschaft ist, haben sie sich
gesagt: Wir müssen ihm helfen! Lasst uns eine Sonderkollekte machen,
die unser Epaphroditus dann zu ihm nach Rom bringen kann! Und wie
sehr sich Paulus darüber freut, dass sie so an ihn denken, das kommt
in jedem Kapitel dieses Briefs wieder erneut so deutlich rüber.
Paulus erinnert sich, und das ist sein zweiter Grund für die Freude.
Freude ist seine Reaktion auf die Umstände. Er ruft sich alles Gute
in Erinnerung, wofür er danken kann. Deshalb kann er sich auch in
seiner Gefangenschaft freuen.
Wenn
du an Menschen denkst, die du um dich herum hast, was von ihnen kommt
dir dann zuerst in den Sinn? Das, was sie dir schon alles Gutes getan
haben oder die Dinge, mit denen sie dich verletzt haben? Paulus
konnte in seiner Gefangenschaft gerade deshalb seine Freude behalten,
weil er in allem das Gute gesucht hat. Wir lesen in diesem Brief
weiter vorne noch viel mehr davon. Als Gefangener hätte er sich
sagen können: Jetzt bin ich gefangen, da hat bestimmt Gott mich
verlassen, damit das geschehen konnte. Aber davon lesen wir nichts.
Im Gegenteil, er schreibt sogar, dass seine Gefangenschaft zur
Förderung des Evangeliums beigetragen hat. Sein Leid, seine Gitter
vor dem Fenster, seine Wächter, die auf ihn aufpassten, all das
wurde von Gott zum Guten gebraucht, nämlich zur Förderung des
Evangeliums, wie er im Vers 12 schreibt.
Dankbarkeit
und die Erinnerung an all das Gute, was wir in unserem Leben
bekommen, das sind zwei grundlegende Dinge, die zur Freude beitragen.
Dazu müssen wir aber die Augen offenhalten und nach den Dingen
suchen, die wir bekommen. Wenn es uns schwer fällt, uns in
schwierigeren Zeiten an diese Dinge zu erinnern, hilft es auch sehr,
wenn wir uns eine Art Danksagungstagebuch anlegen und es auch
regelmäßig füllen. Dort kommt alles hinein, was wir mit Gott
erleben und wo Menschen uns Gutes tun. Dann haben wir etwas, wo wir
jederzeit lesen, uns erinnern und danken können.
3.
Gebet / Fürbitte
Und
dann sehen wir in einem weiteren Schritt: Paulus betet für diese
Gemeinde, der er schreibt. Er tut Fürbitte für sie, und zwar nicht
nur einmal, auch nicht nur hin und wieder, sondern jedes Mal, wenn er
am Beten ist. Allezeit schreibt er. Das bedeutet nun nicht, dass er
nur noch gebetet hat und sonst gar nichts anderes mehr getan, sondern
er hat sich einfach angewöhnt, regelmäßig zu beten, und in diesen
regelmäßigen Gebeten hat er auch jedes Mal für die Gemeinde in
Philippi gebetet.
Wie
jemand betet, auch wie oft und wofür, das sagt ganz viel über
unsere Persönlichkeit und unsere Prioritäten im Leben aus. Wer vor
allem für seine persönlichen Wünsche betet, fürs neue Auto oder
einen schnelleren Computer, offenbart damit die Priorität dieser
Dinge in seinem Leben. Paulus betet sehr viel für andere Menschen.
Auch das offenbart seine Prioritäten. Ihm ist es nicht so wichtig,
wann oder wie er aus seinem Gefängnis herauskommt, sondern vor
allem, dass es den Leuten gut geht, die er liebt. Fürbitte, Gebet
für andere, das ist etwas, was auch uns selbst ganz besonders
verändert. Es gibt uns einen neuen Blickwinkel für unser Leben. Es
macht uns frei von uns selbst, von der Priorität unserer selbst in
unserem Leben. Wer vor allem an sich selbst im Gebet denkt, wird von
sich und seinem Wohlergehen derart eingenommen, dass er von den
eigenen Umständen abhängig wird.
Bei
Paulus tritt dieses Ich-Mich-Mein-Mir so weit zurück, dass ihm das
Wissen um das Wohlergehen der Philipper Freude bereitet. Er kann sich
freuen, weil es ihnen gut geht. Er kann sich freuen, weil sie an ihn
gedacht haben. Er kann sich freuen, weil sie ihre Sorge um ihn
gezeigt haben. Fürbitte – Gebet für Andere – macht uns frei und
bereitet uns Freude. Das ist wertvoll zu wissen. Für wen beten wir?
Wen haben wir auf dem Herzen, für den wir in allen unseren Gebeten
danken und um sein Wohlergehen bitten?
4.
Gemeinschaft
Dann
dankt Paulus für die Gemeinschaft am Evangelium. Die Leute in
Philippi haben ihn unterstützt in seinem Dienst, und zwar auf
ver-schiedene Art und Weise. Zunächst denkt er daran, wie sie, als
er frisch zu ihnen kam, das Evangelium angenommen haben. Wie sie ihn
ermutigt haben in seinem Dienst, als er gefangen genommen wurde und
sie ihn nicht verlassen haben, sondern trotzdem weiter gemacht, mit
ihm gelitten, mit ihm evangelisiert haben.
Doch
auch jetzt geben sie Paulus noch genügend Grund zur Dank-barkeit,
mit ihrer Unterstützung. Wie sie ihm Geld geschickt haben, damit er
davon leben konnte und mehr Zeit für seinen Dienst hatte. Nicht nur
einmal, sondern mehrmals haben sie ihm schon Teile aus der Kollekte
zukommen lassen. Dann lesen wir in Vers 19, dass sie für ihn
beteten, für seinen Dienst. Auch das war für Paulus eine große
Ermutigung. Wie er zum Beispiel auch im Epheserbrief (6, 20)
schreibt, ist es ihm wichtig, dass andere für ihn beten. Er weiß,
dass er die Hilfe Gottes nötig hatte, er war nie einfach ein
Einzelkämpfer, dem es egal war, was andere tun und denken. Er wusste
um seine Kämpfe und Schwächen, und wünschte sich auch Gebet für
noch besseren Dienst. In
Vers 27 schreibt Paulus, dass sie auch jetzt immer fleißig dabei
sind, das Evangelium bekannt zu machen. Auch das hat ihn ermutigt,
denn so wusste er, dass er nicht allein war in diesem Dienst.
5.
Vertrauen in Gott
Der
letzte und wichtigste Grund zur Freude in diesen vier Versen ist die
Gewissheit von Gottes Zuverlässigkeit. Er weiß, dass er Gott ganz
und gar vertrauen kann. Und das ist ganz wichtig. Paulus sitzt in
Rom, seine Wohnung ist überwacht, er kann nichts tun für die
Philipper. Trotzdem freut er sich. Warum? Weil er weiß, dass sein
Gott treu ist. Gehen
wir einen Schritt näher in den Text. Was hier mit „ich bin
überzeugt“ übersetzt wird, das ist ein Verb, das „sich sicher
sein“ bedeutet. Das Verb ist in einer Zeitform, die eine
abgeschlossene Handlung in der Vergangenheit bezeichnet. Wenn wir uns
in der Bibel umsehen, so finden wir diese Zeitform in Johannes 19,
30. Da wird von der Kreuzigung Jesu berichtet. Das Letzte, was Jesus
am Kreuz ausrief, das war: Es ist vollbracht! Dort bedeutet das Verb
„etwas seinem Ziel zuführen“ und in der Zeitform der Handlung,
die in der Vergangenheit abgeschlossen ist, bedeutet es: „Es ist
vollständig ausgeführt“ oder „es ist vollkommen vollbracht“.
Auf unser Verb bezogen zeigt es die Gewissheit, die Paulus hatte,
dass Gott alles vollbringen wird, was Er Sich vorgenommen hat.
Bei
Paulus finden sich ja immer wieder die Hinweise darauf, dass alles,
was geschieht, lediglich die Ausführung von Gottes Plan ist, den Er
bereits vor der Erschaffung der Welt gefasst hatte. Anders gesagt:
Die ganze Weltgeschichte ist die Ausführung von Gottes Heilsplan.
Alles, was geschieht, war von Gott zuvor geplant und wird jetzt in
Raum und Zeit ausgeführt. Deshalb kann Paulus sich auch freuen, denn
er weiß, dass es nicht so sehr auf ihn ankommt, sondern Gott tut
alles zum Besten. Ich fürchte, dass wir uns manchmal zu ernst nehmen
und denken, dass alles nur auf uns ankommt. Es stimmt, Gott gebraucht
uns, ja, aber Er hat das, wofür Er uns gebraucht, bereits längst
vorbereitet (Epheser 2, 10). Mit diesem Wissen können wir uns in
allem freuen, denn Gott hat es im Griff, nicht wir.
Schluss:
So
sehen wir: fünf Dinge sind es, die unsere Freude sein sollen. Und in
unserem Brief kommt mehrmals der Befehl: Freut euch! Freut euch alle
Zeit im Herrn! Freut euch! Warum ist Freude so wichtig? Wenn wir
aufhören, uns in Gott zu erfreuen, beginnen wir ganz automatisch,
uns um uns selbst zu drehen. Und irgendwann fangen wir an, denen, die
sich freuen, das Leben schwer zu machen. Denn es darf sich ja niemand
das Leben leichter machen als wir selbst, oder? Man
fängt an, sich auf das zu konzentrieren, was andere alles tun
sollten oder zu unterlassen hätten. Eins muss uns klar sein:
Menschen werden uns immer wieder verwunden, verletzen. Wenn wir
Freude haben, werden wir vergeben können, und die Sache ist
erledigt. Wenn uns die Freude fehlt, wird jede Wunde ein Stück
Bitterkeit bringen, denn ein Herz, in der diese Freude fehlt, ist
wunderbarer Nährboden dafür.
Fünf
Dinge haben wir aufgezählt, die uns helfen, die Freude statt der
Bitterkeit zu kultivieren: Erstens Dankbarkeit. Offene Augen für das
Gute und Schöne, für das, was Gott und Menschen uns Gutes tun.
Zweitens Erinnerung. Ein Gedächtnis, das sich an das erinnern kann,
wofür man zu danken hat. Drittens Gebet, Fürbitte für Menschen.
Das wird unsere Herzen mit Liebe für jene erfüllen, für die wir
beten. Viertens Gemeinschaft. Zusammen unterwegs sein, zusammen Zeit
verbringen, zusammen für Gott arbeiten. Keiner ist allein. Und
fünftens Vertrauen in Gott. Er wird es recht machen. Er wird auch
aus unseren Fehlern das Beste machen. Er ist in Kontrolle, Sein Plan
wird erfüllt. Er wird das Werk der Gnade, das Er in euch begonnen
hat, vollenden.
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