Mittwoch, 20. März 2013

Vom Hören der Predigt und vom Lesen

Im Jahre 1960 hat D. Martyn Lloyd-Jones eine bemerkenswerte Lektion über das Erlangen von echter und falscher Erkenntnis gehalten. Im Zeitalter von Internet und freier Verfügung von so viel Wissen ist die Gefahr, die er anspricht, noch viel größer geworden. Ein lesenswerter Auszug aus diesem Vortrag:

„Aber wir müssen dem dritten Grund mehr Aufmerksamkeit widmen, welcher etwas kontroverser sein könnte. Ich bin der Meinung, dass es eine ganz spezielle Gefahr gibt an diesem Punkt und in dieser Beziehung der Diskussion, wo es um das Ausspielen von Lesen gegen Predigen geht. Vielleicht ist das eine der größten aller Gefahren in der Zeit, in der wir leben. Ich stelle fest, dass das Lesen viel gefährlicher ist als das Hören der Predigt, und ich weise darauf hin, dass eine wirklich echte Gefahr entsteht, wenn jemand seine Zeit nur mit Lesen verbringt und nicht unter die Kraft der Predigt kommt. Was will ich damit sagen? Ich will damit ungefähr folgendes sagen: Wenn jemand ein Buch liest, so hat er in einem gewissen Sinne die gesamte Kontrolle. Es hängt zwar teilweise vom Buch ab, ich weiß, aber sobald er beginnt, sich unwohl zu fühlen, kann er es zumachen und einen Spaziergang machen, oder – er kann viele Dinge tun. Aber all das kannst du nicht tun, während du eine Predigt hörst. Natürlich, es könnte sein, dass du so unhöflich bist, um aufzustehen und hinauszugehen, und manche Leute tun das ja auch, aber aufs Ganze gesehen ist das nicht üblich.
Das Predigen schützt uns deshalb in gewisser Weise vor diesen besonderen Gefahren, die aus dem Lesen allein resultieren, natürlich vorausgesetzt, es handelt sich um echtes Predigen. Denn wenn jemand echtes Predigen hört, so kommt er unter die Macht der Wahrheit, und zwar in einer Weise, in die er beim Lesen allein nicht kommt. Ob du jetzt die Definition des Predigens von Phillips Brooks magst oder nicht, der sagte, es sei „Wahrheit vermittelt durch Persönlichkeit“, aber sie beinhaltet eine Menge Wahrheit, und die Bibel gibt uns viele Beispiele dafür. Gott gebraucht die menschliche Persönlichkeit. Nicht nur das, sondern der Prediger erklärt nicht nur die Bibel, sondern er macht auch Anwendungen und sorgt dadurch dafür, dass die Anwendung auch ihr Ziel findet. Wenn jemand ein Buch liest, so kann es sein, dass er nie zu einer Anwendung kommt. Er kann sich dazu entscheiden, das Buch zu schließen und aufzuhören, wann immer er möchte; es gibt kein Beharren auf die Anwendung. Ich fürchte, dass in unserer Zeit, wo die Menschen dazu tendieren, immer weniger und weniger Predigten zu hören, und Predigten immer kürzer und kürzer werden, und unser Vertrauen in das Lesen immer größer wird, dass wir deshalb dieser Gefahr noch viel mehr ausgesetzt sind als unsere Vorfahren. Natürlich verurteile ich keinesfalls das Lesen an und für sich oder sage, dass es keine Veröffentlichungen mehr geben solle! Aber keinesfalls! Ich versuche lediglich die gefährliche Tendenz zu zeigen und halte an der Wichtigkeit und am Vorrang, sowie an der Überlegenheit des Predigens fest. Wir müssen unter die Kraft der Wahrheit gebracht werden. Wir mögen das nicht, aber das ist die Aufgabe eines Predigers, und wenn er dies verfehlt, so ist er ein armseliger Prediger. Wir versuchen immer, diesen Schlussfolgerungen und Anwendungen zu entkommen, aber der Prediger bringt diese ans Ziel. Er hält uns fest, sorgt dafür, dass wir ihnen ins Gesicht sehen müssen, und dadurch beschützt er uns vor bestimmten Gefahren. Eine Zeit, in welcher dem Lesen mehr Wichtigkeit beigemessen wird als dem Hören der Predigt ist immer eine gefährliche Lage. (D. M. Lloyd-Jones, The Puritans: Their Origins and Successors, S. 29 – 30, Übersetzung von mir)

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