Im Jahre 1960 hat D. Martyn Lloyd-Jones eine bemerkenswerte Lektion über das Erlangen von echter und falscher Erkenntnis gehalten. Im Zeitalter von Internet und freier Verfügung von so viel Wissen ist die Gefahr, die er anspricht, noch viel größer geworden. Ein lesenswerter Auszug aus diesem Vortrag:
„Aber wir müssen dem
dritten Grund mehr Aufmerksamkeit widmen, welcher etwas kontroverser
sein könnte. Ich bin der Meinung, dass es eine ganz spezielle Gefahr
gibt an diesem Punkt und in dieser Beziehung der Diskussion, wo es um
das Ausspielen von Lesen gegen Predigen geht. Vielleicht ist das eine
der größten aller Gefahren in der Zeit, in der wir leben. Ich
stelle fest, dass das Lesen viel gefährlicher ist als das Hören der
Predigt, und ich weise darauf hin, dass eine wirklich echte Gefahr
entsteht, wenn jemand seine Zeit nur mit Lesen verbringt und nicht
unter die Kraft der Predigt kommt. Was will ich damit sagen? Ich will
damit ungefähr folgendes sagen: Wenn jemand ein Buch liest, so hat
er in einem gewissen Sinne die gesamte Kontrolle. Es hängt zwar
teilweise vom Buch ab, ich weiß, aber sobald er beginnt, sich unwohl
zu fühlen, kann er es zumachen und einen Spaziergang machen, oder –
er kann viele Dinge tun. Aber all das kannst du nicht tun, während
du eine Predigt hörst. Natürlich, es könnte sein, dass du so
unhöflich bist, um aufzustehen und hinauszugehen, und manche Leute
tun das ja auch, aber aufs Ganze gesehen ist das nicht üblich.
Das Predigen schützt uns
deshalb in gewisser Weise vor diesen besonderen Gefahren, die aus dem
Lesen allein resultieren, natürlich vorausgesetzt, es handelt sich
um echtes Predigen. Denn wenn jemand echtes Predigen hört, so kommt
er unter die Macht der Wahrheit, und zwar in einer Weise, in die er
beim Lesen allein nicht kommt. Ob du jetzt die Definition des
Predigens von Phillips Brooks magst oder nicht, der sagte, es sei
„Wahrheit vermittelt durch Persönlichkeit“, aber sie beinhaltet
eine Menge Wahrheit, und die Bibel gibt uns viele Beispiele dafür.
Gott gebraucht die menschliche Persönlichkeit. Nicht nur das,
sondern der Prediger erklärt nicht nur die Bibel, sondern er macht
auch Anwendungen und sorgt dadurch dafür, dass die Anwendung auch
ihr Ziel findet. Wenn jemand ein Buch liest, so kann es sein, dass er
nie zu einer Anwendung kommt. Er kann sich dazu entscheiden, das Buch
zu schließen und aufzuhören, wann immer er möchte; es gibt kein
Beharren auf die Anwendung. Ich fürchte, dass in unserer Zeit, wo
die Menschen dazu tendieren, immer weniger und weniger Predigten zu
hören, und Predigten immer kürzer und kürzer werden, und unser
Vertrauen in das Lesen immer größer wird, dass wir deshalb dieser
Gefahr noch viel mehr ausgesetzt sind als unsere Vorfahren. Natürlich
verurteile ich keinesfalls das Lesen an und für sich oder sage, dass
es keine Veröffentlichungen mehr geben solle! Aber keinesfalls! Ich
versuche lediglich die gefährliche Tendenz zu zeigen und halte an
der Wichtigkeit und am Vorrang, sowie an der Überlegenheit des
Predigens fest. Wir müssen unter die Kraft der Wahrheit gebracht
werden. Wir mögen das nicht, aber das ist die Aufgabe eines
Predigers, und wenn er dies verfehlt, so ist er ein armseliger
Prediger. Wir versuchen immer, diesen Schlussfolgerungen und
Anwendungen zu entkommen, aber der Prediger bringt diese ans Ziel. Er
hält uns fest, sorgt dafür, dass wir ihnen ins Gesicht sehen
müssen, und dadurch beschützt er uns vor bestimmten Gefahren. Eine
Zeit, in welcher dem Lesen mehr Wichtigkeit beigemessen wird als dem
Hören der Predigt ist immer eine gefährliche Lage.“ (D. M.
Lloyd-Jones, The Puritans: Their Origins and Successors, S. 29 –
30, Übersetzung von mir)
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