Burdick,
Alan, Warum die Zeit verfliegt, Karl Blessing Verlag München, 1.
Aufl. 2017, Verlagslink
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Vielen
Dank an den Blessing-Verlag für das Rezensionsexemplar.
Alan
Burdick ist Journalist für den New Yorker und hat ein Buch über die
Zeit geschrieben. Er schreibt im Vorwort, dass ihm die Zeit schon
immer Mühe bereitet habe, und er sich deshalb den größten Teil
seines Lebens davor gedrückt habe, eine Uhr zu tragen (S. 17). Er
hat sich jedoch für das Phänomen Zeit interessiert und sich auf die
Suche gemacht, um herauszufinden, was die verschiedenen
Wissenschaften über die Zeit zu berichten haben. Er sucht Biologen
und Physiker auf, durchsucht Studien und macht Selbstversuche,
um hinter das Geheimnis der Zeit zu kommen.
Das
Buch ist gut gefertigt, der Umschlag entspricht dem schlichten
Umschlag des englischen Originals, einfach gehalten, beinahe
unscheinbar. Viel weißer Hintergrund mit zwei schwarzen Uhrzeigern.
Einerseits hebt sich diese Titelgestaltung wohltuend von vielen
überladenen Titeln anderer Bücher ab, andererseits läuft sie
Gefahr, gar nicht mehr wirklich wahrgenommen zu werden.
Burdick
macht sich auf die Suche nach der präzisesten Zeit der Welt. In
seiner Vorstellung muss das eine Uhr sein, welche die exakteste Zeit
angibt. In Paris findet er diese Zeit, doch nicht in Form einer Uhr,
denn es gibt weltweit eine ganze Reihe von Uhren, welche beständig
miteinander verglichen und durch Berechnung und Schätzung aneinander
angeglichen werden: „Die exakteste Uhr der Welt, die Koordinate
Weltzeit, wird von einem Komitee produziert. Das Komitee verlässt
sich dabei auf hoch entwickelte Computer und Algorithmen und den
Input von Atomuhren, doch die Metaberechnung, die leichte Bevorzugung
des Inputs der einen Uhr vor dem der anderen, wird letztendlich durch
die Debatten bedächtiger Wissenschaftler gefiltert. Zeit ist eine
Gruppe diskutierender Menschen.“ (S. 42)
Einen
großen Bereich des Buches nimmt das Thema Zeitwahrnehmung ein. Das
Leben ist von einem circadianen Rhythmus geprägt. Circadian heißt
„um den Tag herum“, was etwa so viel bedeutet, dass dieser
Rhythmus ungefähr 24 Stunden dauert. Viele Zellen unseres Körpers
funktionieren ungefähr circadian, wobei das Tageslicht, das in
unsere Augen fällt, immer wieder zum Taktgeber wird, der die
unzähligen Uhren in unserem Körper neu justiert und aufeinander
abstimmt.
Burdick
machte sich auch einmal auf die Reise in die Arktis, um
herauszufinden, „wie es sich dort anfühlt.“ (S. 106) Dort
ist im Sommer monatelang so etwas wie ein einziger Tag; die Sonne
geht nie unter, es wird höchstens ein etwas dunkleres oder helleres
Grau. Was hingegen geschieht, wenn der Körper nur noch Nacht um sich
herum hat, erfährt Burdick von den Schilderungen Michel Siffres, der
insgesamt dreimal über eine längere Zeit in einer Höhle gelebt
hat, um herauszufinden, wie er auf diese Umstellung reagiert. Auch er
empfand die Zeit wie „ein einziger langer Tag.“ (S. 131)
Doch als er wieder ins Freie kam, klagte er über ein „beschädigtes
Gedächtnis“ (ebd.), da er nicht mehr wisse, was er vor dem
letzten Mal schlafen gemacht habe.
Wir
Menschen nehmen Zeit als Aneinanderreihung von Momenten und als
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft wahr. Doch wie lange ist
eigentlich die Gegenwart? Paul Fraisse etwa definierte 1957 die
Gegenwart als Zeit von ungefähr fünf Sekunden, weil diese Zeit
ausreiche, um einen kurzen Satz von 20 – 25 Silben auszusprechen
(vgl. S. 239) Leider verpasst Burdick die Chance, diese Definition
näher zu erläutern. Ich persönlich empfinde es als eine
ausgezeichnete Definition, denn diese Zeitspanne reicht auch aus, um
einen kurzen Satz zu verstehen oder einen einfachen Gedanken zu Ende
zu denken.
Wie
lange erscheint uns eine bestimmte Zeitdauer? Fünf Minuten im Kino
sind enorm schnell vorbei – dieselben fünf Minuten beim Zahnarzt
ziehen sich in die Länge wie ein Kaugummi. Interessante Experimente
haben weitere Kriterien ausfindig gemacht, welche dazu führen, dass
eine bestimmte Zeitdauer als länger oder kürzer wahrgenommen wird:
„Stellen Sie sich einen Punkt vor, der kurz auf dem
Computerbildschirm erscheint. Sie werden gebeten zu beurteilen, wie
lang die Dauer von 'kurz' war: Je heller der Punkt, desto länger
wird sie Ihnen erscheinen. Auch die Dauer eines größeren Punktes
wirkt länger als die Dauer eines kleineren, die eines bewegenden
länger als die eines stationären, die eines sich schnell bewegenden
Punkts länger als die eines sich langsam bewegenden, die eines
schnell flackernden länger als die eines langsam flackernden.“
(S. 272) Oder noch etwas alltäglicher formuliert: „Susan und
ich hatten eine Spielzeugwechselpolitik eingeführt, erhielten aber
bald eine Grundlektion in Zeitwahrnehmung: Für den Zwilling, der Das
Ding gerade nicht hat, dauert die Zeit, in der der andere es hat,
immer länger. Dauer liegt im Auge des Betrachters, nicht in dem des
Besitzers.“ (S. 324)
Jeder
Mensch hat jeden Tag 24 Stunden Zeit. Und doch: „Zeit ist das
Einzige, an dem es gefühlsmäßig jedem Menschen mangelt.“ (S.
402) Ich nicke. Und bin dankbar, dass Gott uns die Ewigkeit schenken
möchte.
Alan
Burdick hat es geschafft, ein Buch zu schreiben, das sich spannend,
wenn auch nicht ganz so leicht liest. Häufig gibt es Umbrüche
zwischen verschiedenen Fragen, die alles andere als glatt oder rund
sind. Es ist ein Buch, das trotz unkomplizierter Sprache viel
Aufmerksamkeit erfordert. Aber es ist sehr lesenswert, weshalb ich es
auch sehr empfehlen möchte. Wer sich für unsere menschliche
Wahrnehmung der Zeit interessiert, wird hier viele Antworten
bekommen. Und doch frage ich mich am Ende: Hat Burdick die große
Frage des Buches, warum die Zeit verfliegt, eigentlich beantwortet?
Er hat sich der Frage von vielen Seiten genähert, doch eine
letztgültige Antwort bleibt er dem Leser schuldig. Hat der Autor
eine? Gibt es überhaupt eine solche? Oder könnte es sein, dass der
Buchtitel gar nicht so viel mit dem Inhalt zu tun hat, sondern eher
versuchen soll, noch mehr Leser zu rekrutieren? Ich weiß es nicht,
aber ich bin dankbar, dass ich es gelesen habe. Es hat mir viel zu
denken gegeben.
Ich
gebe dem Buch fünf von fünf Sternen.
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