Von
der Lutherphobie bis zur Lutherphilie finden sich in der medialen
Welt viele Extreme, wie mit dem Leben und Werk Martin Luthers
umgegangen wird. Besonders das Reformationsjahr und die ganze
Lutherdekade bietet viel Stoff und viel Gelegenheit, um den
Reformator für alle möglichen und unmöglichen Zwecke zu
vereinnahmen. Es ließe sich bestimmt eine ganze Menge grüner
Energie produzieren durch die Drehbewegung, die Luther machen müsste,
wenn er sich noch im Grabe befände, ob all des Unsinns, der
heutzutage über ihn oder in seinem Namen verbreitet wird. Aber wie
kann man objektiv und unaufgeregt mit dem umgehen, was Luther gesagt
und geschrieben hat?
1.
Context is King!
Wenn
man Luthers Werk ansieht, wird man von der Menge schier erschlagen.
Die größte Gesamtausgabe seiner Werke umfasst 127 Bände, die
sogenannte Weimarer Ausgabe. Ebenso viele Jahre hat die
Fertigstellung dieser umfassenden Ausgabe in Anspruch genommen. Sein
Leben war von vielen Kontroversen geprägt, wodurch er sich nach
allen Seiten hin gegen eine fälschliche Vereinnahmung wehren musste.
Gegen die Papisten Roms, die ihn zurück in den Mutterschoß der
Kirche führen wollten, gegen den Humanisten Erasmus von Rotterdam,
gegen die Vertreter der Bauernaufstände, die mit der christlichen
Freiheit argumentierten, um ihr gewalttätiges Treiben gegen die
Grundbesitzer zu rechtfertigen, gegen die sogenannten „Schwärmer“,
die schon eine Art frühe Vertreter der Bibelkritiker waren, oder
auch gegen andere Reformatoren wie Huldrych Zwingli, dessen
Verständnis vom Abendmahl Luther zu symbolisch war. Hier wird jeder
irgendwo Sätze finden, denen er – aus dem Kontext gerissen –
zustimmen kann. Deshalb ist es enorm wichtig, immer genau darauf zu
achten, wann, an wen und unter welchen Umständen was geschrieben
wurde. Es ist deshalb auch schwierig, Luther späte Veränderungen
seines Charakters oder seiner Ansichten unterzuschieben. Wer sich
etwa mit der frühen Römerbrief-Vorlesung von 1515 – 1516 befasst,
wird erstaunt, wie sehr Luther dann schon Reformator ist.
2.
Semper reformanda!
Einer
der Grundsätze der Reformation ist, dass die Kirche oder Gemeinde
ständig erneut reformiert werden muss. Dabei bedeutet „reformieren“
immer: Zurückbringen zur Bibel als Gottes Wort! Zurück zu den
Quellen! Dass alle menschlichen Aussagen und Bekenntnisse Stückwerk
sind und deshalb auch immer neu an der Schrift gemessen werden
müssen, ist dem Reformator nur allzu sehr klar. Doch er weiß: Der
Mensch braucht zwingend den festen Boden der Heiligen Schrift, der
ganzen Bibel, weil er sonst dazu verdammt ist, sich selbst und den
jeweiligen Zeitgeist zum Prüfstein zu machen. Wie das herauskommt,
zeigt die Geschichte des 3. Reiches mit den „Deutschen Christen“
nur allzu gut. Davor schützt einzig und allein das Ernstnehmen der
Offenbarung Gottes in der gesamten Bibel. Diese muss nicht
herausgearbeitet werden, sondern ist in jedem Buch, jedem Satz, jedem
Wort und jedem Buchstaben der Bibel zu finden. Wir müssen deshalb
keineswegs in allem mit Martin Luther einverstanden sein. Die Frage
ist einzig: Was sagt Gottes Wort, die Bibel, dazu? Luther würde
selbst auch gar nicht wollen, dass wir seine Worte zur „norma
normans“ machen, also zum Maßstab, um daran die Wahrheit zu
messen. Er sagt nur: In allem, worin Ihr mich überzeugen wollt, gilt
allein die Heilige Schrift, und diese, indem sie sich selbst auslegt.
3.
Dankbarkeit!
Nicht
zuletzt dürfen wir einfach dankbar sein. Dankbar für Martin Luther,
der standhaft blieb und sich von Gott gebrauchen ließ. Mit allen
Ecken und Kanten. Mit allem, was er in seinem Leben erlebt und
erreicht hat. Und ich möchte auch hinzufügen: Dankbar, dass er
nicht perfekt war. Denn das macht Hoffnung. Es macht Hoffnung, dass
Gott auch weitere unperfekte Gefäße gebrauchen kann und will. Es
macht Hoffnung, dass wir nicht erst ewig warten müssen, bis ein
zweiter Martin Luther geboren wird. Egal wie dunkel die Zeit
erscheinen mag, Gott hat Menschen vorbereitet, die Seine Botschaft
treu weitergeben. Unter allen Umständen und zu jedem Preis.
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