Sonntag, 16. August 2015

Bezahlter Missbrauch

Ich habe in den letzten Tagen das Buch „Paid for“ von Rachel Moran gelesen. Es geht um ihren Weg in die Prostitution, was sie darin erlebt hat und wie sie wieder herausgekommen ist nach sieben Jahren als Prostituierte in Irland. Sie erzählt dabei nicht nur von sich selbst, sondern bezieht die Erfahrungen vieler anderer Frauen mit ein, die sie dabei kennengelernt hatte und sieht deshalb auch viele Dinge, die quer durch die Prostitution hindurch gültig sind. Auch wenn mir vieles darin bereits bekannt war, hat mich das Buch immer wieder betroffen gemacht.

Die zentrale Aussage des Buches ist ungefähr die: Eine Frau, die sich prostituiert, erlaubt damit dem Mann, der sie bezahlt, dass er sie sexuell missbrauchen darf. Sie hat damit ihr Recht verkauft, den sexuellen Ausbeuter verklagen zu können – und damit hat sie sich selbst verarscht.

Wie kommen Frauen in die Prostitution? Rachel Moran kam aus einem sehr schwierigen Elternhaus. Fünf Kinder, die von Eltern erzogen wurden, die beide erhebliche psychische Probleme hatten. Der Vater wurde oft in einer psychiatrischen Klinik stationär behandelt, die Mutter war manisch-depressiv und hatte Angst vor der Umwelt. Alle Menschen waren böse, die Kinder wurden eingeschlossen ins Haus und durften nur zur Schule oder um das Nötigste einzukaufen das Haus verlassen. Rachel fühlte sich deshalb schon als Kind als Außenseiter der Gesellschaft. Sie konnte sich kaum vorstellen, einen respektablen Beruf auszuüben. Als sie etwa dreizehn war, beging der Vater Selbstmord und wenige Monate darauf wurde sie von der Mutter aus dem Haus geworfen. Sie war obdachlos geworden.

Obdachlosigkeit und die finanzielle Lage sind Probleme, die viele Frauen in die Prostitution bringen. Wer obdachlos ist, hat überhaupt kein Zuhause mehr, absolut keine Sicherheiten, und das ist ein riesiger Druck. Ein Freund, der auch obdachlos war, empfahl ihr, es mal mit der Prostitution zu versuchen. Sie hörte auf ihn, und war bald darauf (mit 15 Jahren!) eine Straßenprostituierte.

Die ganzen brutalen Erlebnisse erspare ich dem Leser mal, wer mehr wissen möchte, kann sich das Buch auch besorgen. Ok, ein Erlebnis ist mir ganz tief unter die Haut gegangen, das erzähle ich doch nach. Einmal, als sie mit 15 auf der Straße stand, kam ein Auto und ein Vater wollte seinem Sohn die Entjungferung durch eine junge Prostituierte schenken. Das finde ich ganz was Schreckliches, die Frage ist doch: Was geben wir der nächsten Generation für ein Bild von der Frau weiter? Auf diese Art lernte doch der Junge, dass sein Vater die Frau nur als ein Stück Fleisch auf dem Markt ansieht. Kein Wunder, dass die Probleme so zunehmen.

Als sie etwa 3 Jahre in der Prostitution war, führte Irland ein neues Gesetz ein, das die Prostitution von der Straße in die Bordelle und Call-Agenturen verbannte. Das Gesetz war dazu gedacht, die Sicherheit der Prostituierten zu erhöhen, aber es führte zum Gegenteil dessen: Auf der Straße war es Moran möglich, sich die „Kunden“ erst mal anzuschauen und dann auszusuchen, ob sie das Angebot annahm. Sie konnte so etwa Betrunkene am Atem herausriechen und wieder wegschicken. Im Call-Center war das nur anhand der Stimme viel schwieriger; auch wollten die Betreiber, dass sie nicht nein sagen. Dies führte zu viel mehr Gewalt und Leid (mal davon abgesehen, dass jeder Kunde eine Menge Leid und Gewalt bedeutete).

Nach sieben Jahren hörte sie auf. Sie hatte ein starkes Drogenproblem entwickelt – außerdem hatte sie einen Sohn, der in der Zeit in der Prostitution zur Welt gekommen war. Doch was konnte sie tun? Im ersten Jahr stieg sie aus den Drogen aus. Doch sie konnte sich kaum vorstellen, einen „normalen“ Beruf zu lernen, weil sie sich als Außenseiterin fühlte. Respektable Arbeiten können doch nur respektable Menschen tun. Und dazu zählte sie sich nicht. Doch Stück für Stück während vieler Jahre konnte sie einen Schulabschluss (College) nachholen und an der Universität in Dublin Journalismus studieren. Dies nur, weil sie Menschen um sich bekam, die ihr halfen, sie hatte ja keine Ahnung von all den Möglichkeiten.

Was können wir tun?

Zunächst ist es wichtig, dass wir Prostitution als das sehen, was sie ist: Nämlich sexueller Missbrauch gegen Bezahlung. Am Missbrauch ändert die Bezahlung nichts. Deshalb sollte die Inanspruchnahme dieser Dienste verboten werden – und gleich bestraft wie sexueller Missbrauch ohne Bezahlung. Vielleicht wäre es an der Zeit, eine Petition dazu zu starten.

Sodann ist es auch wichtig, was wir der nächsten Generation darüber weitergeben. Die Prostitution ist ein Thema, das nicht verschwiegen werden darf. Kinder werden früher oder später darüber stolpern; etwa wenn sie an der Schule die ersten Schimpfwörter entdecken und nach Hause bringen. Spätestens dann – besser vorher – ist Aufklärung darüber nötig.

Die Frage ist auch, wie wir Prostituierte sehen. Sie sind da, sie leiden unter ihrem Leben. Sie können häufig nichts dafür, wo sie gelandet sind. Sie brauchen Hilfe. Sie belügen sich selbst, weil sie keinen anderen Ausweg wissen, als eben in der Prostitution zu bleiben. Der Schritt heraus ist sehr schwierig und braucht viele Menschen und Hilfe.

Können wir Auffangnetze für diese Frauen aufbauen? Könnten das unsere Gemeinden sein? Könnte es sogar sein, dass das eine unserer Aufgaben als Gemeinden ist? Darüber lohnt sich nachzudenken.

Wenn Du weitere Gedanken, Fragen und Ideen hast, bin ich dafür immer dankbar!



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