Gedanken
zum Interview mit Tim Lambesis
Als Fan von Musik etwas
härterer Gangart mochte ich natürlich die Band „As I Lay Dying“
(AILD) schon seit Längerem. Als vor gut einem Jahr (am 7. Mai 2013)
deren Frontmann Tim Lambesis verhaftet wurde, war ich dann doch etwas
überrascht. Die Medien schlachteten dieses Ereignis natürlich bis
zum Gehtnichtmehr aus. Am 16. Mai 2014
wurde er zu sechs Jahren Haft verurteilt. Jetzt endlich brach er sein
Schweigen und gab Ryan Downey ein Interview (Link). Als ich es am
vergangenen Sonntag las, dachte ich lange darüber nach. Es enthält
viele Themen, die wirklich sehr wichtig für unsere Generation (und
die nachfolgenden Generationen) sind. Ich möchte fünf davon
herauspicken und kurz erläutern. Dennoch möchte ich jedem, der
Englisch lesen kann, empfehlen, das gesamte Interview zu lesen.
Vielleicht findet sich auch ein „freiwilliges Opfer“, das bereit
wäre, das Interview zu übersetzen.
Zuerst die wichtigsten
Inhalte in Kurzfassung: Tim Lambesis ist in einem christlichen Umfeld
aufgewachsen. Nach seinem Schulabschluss begann er, mit Bands zu
touren. Unter anderem hat er dann im Jahr 2000 die Band „As I Lay
Dying“ gegründet, die schon nach kurzer Zeit Touren durch die
ganze Welt hatte. 2004 heiratete er Meggan Murphy. Da er in der Zeit
als Teenager mit seiner Gemeinde Bibelfreizeiten in sehr armen
Ländern durchführte, wo ihn das Schicksal vieler Waisenkinder
persönlich stark berührte, entschieden sie sich, Kinder aus
Äthiopien zu adoptieren. Durch lange Touren als Band kam eine
zunehmende Entfremdung zwischen Tim und seiner Frau auf. Er fühlte
sich in den Zeiten, die er zu Hause verbrachte, immer stärker
abgelehnt von Meggan, woraufhin er immer mehr Zeit im Fitness-Studio
verbrachte, anstatt bei seiner Familie zu sein. Sie ihrerseits fühlte
sich dadurch ebenfalls abgelehnt, weshalb sie sich an ihre
adoptierten Kinder zu klammern begann und ihm immer weniger Zeit mit
ihnen ließ. Um weiterhin als Muskeltyp zu gelten, nahm er nun auch
noch Steroide, da seine Muskeln eine Grenze (ein „Plateau“, wo
das natürliche Wachstum nicht mehr nur mit Bodybuilding weitergeht)
erreichten. 2012 wurde ihm alles zuviel, weshalb er sich entschied,
sich von seiner Frau zu trennen. Schon ein halbes Jahr zuvor hatte er
ihr mitgeteilt, dass er nicht mehr wirklich an Gott glaube. Im
Scheidungsprozess hatte sie alles getan, um ihm möglichst wenig
Freiheiten mit den Kindern zu lassen, was ihn weiter wütend machte.
Um eine traurige Sache kurz zu machen: Er kam dann auf die absolut
schreckliche Idee, es wäre besser für ihn und die Kinder, wenn
seine Ex-Frau nicht mehr leben würde. Über seinen Steroid-Dealer
ließ er sich einen Auftragsmörder vermitteln, der ihm dann jedoch
zum Glück einen Undercover-Agenten schickte, der Lambesis verhaften
ließ, sobald er ihm den Auftrag gegeben hatte. So weit die Sicht von
Lambesis, wie er sich im Interview äußert. Dass dieses Interview – wie alles
– mit Vorsicht zu genießen ist, sollte klar sein; spätestens seit
einer ersten Antwort des AILD-Gitarristen Nick Hipa (Link). Im
Folgenden fünf Stichworte mit meinen Gedanken dazu, was wir von Tim
Lambesis lernen können und was wir besser machen sollten.
1. Entfremdung
Das menschliche Gehirn
ist hochkomplex – und mehr noch: Es ist sehr sehr dynamisch, anders
gesagt: Es verändert sich ständig. Jeder Gedanke, jedes Bild, jedes
aufgenommene Wort in unserem Leben hinterlässt bleibende Spuren.
Jeder Mensch verändert sich also ständig. Rund um die Uhr. Das ist
eine der großen Stärken des Menschen: Er kann sich so sehr gut und
schnell an jede neue (veränderte) Situation anpassen. Entfremdung
kommt zustande, wenn sich Menschen in sehr unterschiedliche
Richtungen verändern. So braucht es in der Ehe und Familie immer
wieder gemeinsame Zeiten, gemeinsame Erlebnisse, gemeinsame
Erinnerungen. Kommunikation ist sehr wichtig und beeinflusst die
Richtung, in die wir uns verändern. Tim Lambesis war oft über
Monate auf Tour und von seiner Frau und den Kindern getrennt. So
haben sie sich in sehr unterschiedliche Richtungen entwickelt. Dies
kommt auch in Familien vor, die keine Profimusiker sind. Das
gemeinsame Fernsehen kann diese Entwicklung nicht aufhalten. Auch der
Computer und das Handy oder Smartphone drängt sich häufig in den
Vordergrund und verhindert die gemeinsame Veränderung in dieselbe
Richtung.
2. Identität
Die Fragen „Wer bin
ich? Was macht mich aus? Was macht mich besonders?“ stellt sich
jeder Mensch im Laufe seines Heranwachsens. Tim war sein Leben lang
in einem christlichen Umfeld, doch nicht selten wird auch hier nicht
wirklich eine Antwort auf diese Fragen gegeben. Junge Menschen
brauchen Vorbilder, die ihnen sicht- und spürbar vorleben, was es
bedeutet, ein Mann oder eine Frau, ein Vater oder eine Mutter zu
sein. Viel zu lange haben unsere Gemeinden diese Aufgabe der Schule,
den Hollywood-Filmen und dem BRAVO-Magazin überlassen. Wo sind die
Frauen und Mütter, wo die Männer und Väter, die der nächsten
Generation zeigen, was es bedeutet, eine gelingende Ehe und Familie
zu haben? Tim Lambesis hat seine vermeintliche Identität im Erfolg
als Musiker und Bodybuilder gefunden. Er bereut zutiefst, wohin das
geführt hat. Lasst uns Gemeinden bauen, die der nächsten Generation
eine echte Identität zu vermitteln vermögen.
3. Apologetik
Lambesis erzählt in
seinem Interview, dass er sich mit den Fragen beschäftigt hat, die
der sogenannte „Neue Atheismus“ an den christlichen Glauben
stellt. Und irgendwann hat er sich auf deren Seite gestellt und den
Glauben an Gott abgelehnt. Erst nach seiner Verhaftung, als er viel
Zeit alleine verbrachte und Zeit zum Nachdenken hatte, stellte er
sich wieder diesen Fragen. Der Apologet William Lane Craig, von dem
er insgesamt um die 1000 Buchseiten las, half ihm dabei. Auch hier
wieder eine Anfrage an unsere Gemeinden. Sind wir bereit, die nächste
Generation auf das Leben vorzubereiten? Spätestens an der Schule
wird jede und jeder heutzutage mit den Argumenten des „New Atheism“
konfrontiert. Haben wir den jungen Menschen Antworten, echte
Antworten, auf all diese Fragen? Können wir ihnen helfen, Tools zu
entwickeln, mit deren Hilfe sie sich im ganzen Dschungel der
Irrlehren, Religionen und Ideologien zurechtfinden können? Sind wir
bereit, uns ganz auf die jungen Menschen einzulassen und ihnen ins
Leben hinein zu helfen?
4. Christliche Kultur
Eine ganz wichtige
Aussage machte Tim, als er über christliche Bands sprach. Er sagte:
„We toured with more “Christian bands” who actually aren’t
Christians than bands that are. In 12 years of touring with As I Lay
Dying, I would say maybe one in 10 Christian bands we toured with
were actually Christian bands.“ („Wir waren mit mehr
„christlichen Band“ unterwegs, die in Wahrheit keine Christen
waren, als mit solchen, die welche waren. In den zwölf Jahren, in
denen ich mit As I Lay Dying unterwegs war, würde ich sagen, waren
etwa eine von zehn Bands, mit denen wir unterwegs waren, tatsächlich
christliche Bands.“) Es gibt eine Art „christliche Kultur“, die
man deshalb „christlich“ nennt, weil ihre Erzeugnisse in den
christlichen Buchläden zu finden sind. Ich bin kein Experte was die
christliche Metalszene betrifft, aber ausgehend von dem, was ich
bisher kenne, würde ich seine Zahl bestätigen. Nicht alles, was man
in den christlichen Buchläden findet, ist christlich. Dasselbe
trifft auch auf Bücher zu. Es gibt eine Unmenge an Büchern, die ich
keinesfalls zur christlichen Literatur zählen würde, und die man da
trotzdem antrifft. So ist auch hier Vorsicht und gutes Prüfen
angesagt.
5. Meines Bruders
Hüter
Den letzten Gedanken
möchte ich zuerst einmal mir selbst zusprechen. Ja, ich bin ein
Hüter meiner Mitmenschen. Ja, ich bin auch verantwortlich für sie.
Lambesis bedauert, dass er sich verändert hat, ohne dass eines der
anderen Bandmitglieder ihn auf die Richtung hingewiesen hat. Eines
ist klar: Letztendlich trug er selbst die Verantwortung für seine
Entscheidungen. Aber gerade seine Bandmitglieder, die ja auch viel
Zeit mit ihm verbrachten, hätten ihn auch einmal darauf aufmerksam
machen können oder sollen. Dies sei nie geschehen, sagt Lambesis
nun. Ob das tatsächlich so war, oder ob dies lediglich die
Sichtweise des Interviewten ist, lässt sich zur Zeit nicht mit
letzter Sicherheit feststellen. Was aber auffällt, ist, dass sich
immer weniger Menschen für andere mitverantwortlich fühlen. Lieber
nichts sagen als jemandem „auf den Fuß zu treten“ ist die neue
Devise geworden. Auch in vielen Gemeinden. Alles wird geduldet,
überall zwei und mehr Augen zugedrückt, bloß damit die
„Liebeskeule“ („das ist aber lieblos“, „du darfst niemanden
verurteilen“, etc.) nicht hervorgeholt wird. Ich möchte meiner
Geschwister Hüter sein und habe auch Glaubensgeschwister, die mich
gut genug kennen, um meine Veränderungen sehen zu können, die in
mein Leben hinein sprechen dürfen und sollen. Ganz nach Hebräer 10, 23 – 25:
Lasst uns festhalten am Bekenntnis der Hoffnung, ohne zu wanken —
denn er ist treu, der die Verheißung gegeben hat —, und lasst uns
aufeinander achtgeben, damit wir uns gegenseitig anspornen zur Liebe
und zu guten Werken, indem wir unsere eigene Versammlung nicht
verlassen, wie es einige zu tun pflegen, sondern einander ermahnen,
und das um so mehr, als ihr den Tag herannahen seht!
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