Dienstag, 20. Mai 2014

Tim Lambesis von As I Lay Dying im Interview

Gedanken zum Interview mit Tim Lambesis

Als Fan von Musik etwas härterer Gangart mochte ich natürlich die Band „As I Lay Dying“ (AILD) schon seit Längerem. Als vor gut einem Jahr (am 7. Mai 2013) deren Frontmann Tim Lambesis verhaftet wurde, war ich dann doch etwas überrascht. Die Medien schlachteten dieses Ereignis natürlich bis zum Gehtnichtmehr aus. Am 16. Mai 2014 wurde er zu sechs Jahren Haft verurteilt. Jetzt endlich brach er sein Schweigen und gab Ryan Downey ein Interview (Link). Als ich es am vergangenen Sonntag las, dachte ich lange darüber nach. Es enthält viele Themen, die wirklich sehr wichtig für unsere Generation (und die nachfolgenden Generationen) sind. Ich möchte fünf davon herauspicken und kurz erläutern. Dennoch möchte ich jedem, der Englisch lesen kann, empfehlen, das gesamte Interview zu lesen. Vielleicht findet sich auch ein „freiwilliges Opfer“, das bereit wäre, das Interview zu übersetzen.

Zuerst die wichtigsten Inhalte in Kurzfassung: Tim Lambesis ist in einem christlichen Umfeld aufgewachsen. Nach seinem Schulabschluss begann er, mit Bands zu touren. Unter anderem hat er dann im Jahr 2000 die Band „As I Lay Dying“ gegründet, die schon nach kurzer Zeit Touren durch die ganze Welt hatte. 2004 heiratete er Meggan Murphy. Da er in der Zeit als Teenager mit seiner Gemeinde Bibelfreizeiten in sehr armen Ländern durchführte, wo ihn das Schicksal vieler Waisenkinder persönlich stark berührte, entschieden sie sich, Kinder aus Äthiopien zu adoptieren. Durch lange Touren als Band kam eine zunehmende Entfremdung zwischen Tim und seiner Frau auf. Er fühlte sich in den Zeiten, die er zu Hause verbrachte, immer stärker abgelehnt von Meggan, woraufhin er immer mehr Zeit im Fitness-Studio verbrachte, anstatt bei seiner Familie zu sein. Sie ihrerseits fühlte sich dadurch ebenfalls abgelehnt, weshalb sie sich an ihre adoptierten Kinder zu klammern begann und ihm immer weniger Zeit mit ihnen ließ. Um weiterhin als Muskeltyp zu gelten, nahm er nun auch noch Steroide, da seine Muskeln eine Grenze (ein „Plateau“, wo das natürliche Wachstum nicht mehr nur mit Bodybuilding weitergeht) erreichten. 2012 wurde ihm alles zuviel, weshalb er sich entschied, sich von seiner Frau zu trennen. Schon ein halbes Jahr zuvor hatte er ihr mitgeteilt, dass er nicht mehr wirklich an Gott glaube. Im Scheidungsprozess hatte sie alles getan, um ihm möglichst wenig Freiheiten mit den Kindern zu lassen, was ihn weiter wütend machte. Um eine traurige Sache kurz zu machen: Er kam dann auf die absolut schreckliche Idee, es wäre besser für ihn und die Kinder, wenn seine Ex-Frau nicht mehr leben würde. Über seinen Steroid-Dealer ließ er sich einen Auftragsmörder vermitteln, der ihm dann jedoch zum Glück einen Undercover-Agenten schickte, der Lambesis verhaften ließ, sobald er ihm den Auftrag gegeben hatte. So weit die Sicht von Lambesis, wie er sich im Interview äußert. Dass dieses Interview – wie alles – mit Vorsicht zu genießen ist, sollte klar sein; spätestens seit einer ersten Antwort des AILD-Gitarristen Nick Hipa (Link). Im Folgenden fünf Stichworte mit meinen Gedanken dazu, was wir von Tim Lambesis lernen können und was wir besser machen sollten.

1. Entfremdung
Das menschliche Gehirn ist hochkomplex – und mehr noch: Es ist sehr sehr dynamisch, anders gesagt: Es verändert sich ständig. Jeder Gedanke, jedes Bild, jedes aufgenommene Wort in unserem Leben hinterlässt bleibende Spuren. Jeder Mensch verändert sich also ständig. Rund um die Uhr. Das ist eine der großen Stärken des Menschen: Er kann sich so sehr gut und schnell an jede neue (veränderte) Situation anpassen. Entfremdung kommt zustande, wenn sich Menschen in sehr unterschiedliche Richtungen verändern. So braucht es in der Ehe und Familie immer wieder gemeinsame Zeiten, gemeinsame Erlebnisse, gemeinsame Erinnerungen. Kommunikation ist sehr wichtig und beeinflusst die Richtung, in die wir uns verändern. Tim Lambesis war oft über Monate auf Tour und von seiner Frau und den Kindern getrennt. So haben sie sich in sehr unterschiedliche Richtungen entwickelt. Dies kommt auch in Familien vor, die keine Profimusiker sind. Das gemeinsame Fernsehen kann diese Entwicklung nicht aufhalten. Auch der Computer und das Handy oder Smartphone drängt sich häufig in den Vordergrund und verhindert die gemeinsame Veränderung in dieselbe Richtung.

2. Identität
Die Fragen „Wer bin ich? Was macht mich aus? Was macht mich besonders?“ stellt sich jeder Mensch im Laufe seines Heranwachsens. Tim war sein Leben lang in einem christlichen Umfeld, doch nicht selten wird auch hier nicht wirklich eine Antwort auf diese Fragen gegeben. Junge Menschen brauchen Vorbilder, die ihnen sicht- und spürbar vorleben, was es bedeutet, ein Mann oder eine Frau, ein Vater oder eine Mutter zu sein. Viel zu lange haben unsere Gemeinden diese Aufgabe der Schule, den Hollywood-Filmen und dem BRAVO-Magazin überlassen. Wo sind die Frauen und Mütter, wo die Männer und Väter, die der nächsten Generation zeigen, was es bedeutet, eine gelingende Ehe und Familie zu haben? Tim Lambesis hat seine vermeintliche Identität im Erfolg als Musiker und Bodybuilder gefunden. Er bereut zutiefst, wohin das geführt hat. Lasst uns Gemeinden bauen, die der nächsten Generation eine echte Identität zu vermitteln vermögen.

3. Apologetik
Lambesis erzählt in seinem Interview, dass er sich mit den Fragen beschäftigt hat, die der sogenannte „Neue Atheismus“ an den christlichen Glauben stellt. Und irgendwann hat er sich auf deren Seite gestellt und den Glauben an Gott abgelehnt. Erst nach seiner Verhaftung, als er viel Zeit alleine verbrachte und Zeit zum Nachdenken hatte, stellte er sich wieder diesen Fragen. Der Apologet William Lane Craig, von dem er insgesamt um die 1000 Buchseiten las, half ihm dabei. Auch hier wieder eine Anfrage an unsere Gemeinden. Sind wir bereit, die nächste Generation auf das Leben vorzubereiten? Spätestens an der Schule wird jede und jeder heutzutage mit den Argumenten des „New Atheism“ konfrontiert. Haben wir den jungen Menschen Antworten, echte Antworten, auf all diese Fragen? Können wir ihnen helfen, Tools zu entwickeln, mit deren Hilfe sie sich im ganzen Dschungel der Irrlehren, Religionen und Ideologien zurechtfinden können? Sind wir bereit, uns ganz auf die jungen Menschen einzulassen und ihnen ins Leben hinein zu helfen?

4. Christliche Kultur
Eine ganz wichtige Aussage machte Tim, als er über christliche Bands sprach. Er sagte: „We toured with more “Christian bands” who actually aren’t Christians than bands that are. In 12 years of touring with As I Lay Dying, I would say maybe one in 10 Christian bands we toured with were actually Christian bands.“ („Wir waren mit mehr „christlichen Band“ unterwegs, die in Wahrheit keine Christen waren, als mit solchen, die welche waren. In den zwölf Jahren, in denen ich mit As I Lay Dying unterwegs war, würde ich sagen, waren etwa eine von zehn Bands, mit denen wir unterwegs waren, tatsächlich christliche Bands.“) Es gibt eine Art „christliche Kultur“, die man deshalb „christlich“ nennt, weil ihre Erzeugnisse in den christlichen Buchläden zu finden sind. Ich bin kein Experte was die christliche Metalszene betrifft, aber ausgehend von dem, was ich bisher kenne, würde ich seine Zahl bestätigen. Nicht alles, was man in den christlichen Buchläden findet, ist christlich. Dasselbe trifft auch auf Bücher zu. Es gibt eine Unmenge an Büchern, die ich keinesfalls zur christlichen Literatur zählen würde, und die man da trotzdem antrifft. So ist auch hier Vorsicht und gutes Prüfen angesagt.

5. Meines Bruders Hüter
Den letzten Gedanken möchte ich zuerst einmal mir selbst zusprechen. Ja, ich bin ein Hüter meiner Mitmenschen. Ja, ich bin auch verantwortlich für sie. Lambesis bedauert, dass er sich verändert hat, ohne dass eines der anderen Bandmitglieder ihn auf die Richtung hingewiesen hat. Eines ist klar: Letztendlich trug er selbst die Verantwortung für seine Entscheidungen. Aber gerade seine Bandmitglieder, die ja auch viel Zeit mit ihm verbrachten, hätten ihn auch einmal darauf aufmerksam machen können oder sollen. Dies sei nie geschehen, sagt Lambesis nun. Ob das tatsächlich so war, oder ob dies lediglich die Sichtweise des Interviewten ist, lässt sich zur Zeit nicht mit letzter Sicherheit feststellen. Was aber auffällt, ist, dass sich immer weniger Menschen für andere mitverantwortlich fühlen. Lieber nichts sagen als jemandem „auf den Fuß zu treten“ ist die neue Devise geworden. Auch in vielen Gemeinden. Alles wird geduldet, überall zwei und mehr Augen zugedrückt, bloß damit die „Liebeskeule“ („das ist aber lieblos“, „du darfst niemanden verurteilen“, etc.) nicht hervorgeholt wird. Ich möchte meiner Geschwister Hüter sein und habe auch Glaubensgeschwister, die mich gut genug kennen, um meine Veränderungen sehen zu können, die in mein Leben hinein sprechen dürfen und sollen. Ganz nach Hebräer 10, 23 – 25: Lasst uns festhalten am Bekenntnis der Hoffnung, ohne zu wanken — denn er ist treu, der die Verheißung gegeben hat —, und lasst uns aufeinander achtgeben, damit wir uns gegenseitig anspornen zur Liebe und zu guten Werken, indem wir unsere eigene Versammlung nicht verlassen, wie es einige zu tun pflegen, sondern einander ermahnen, und das um so mehr, als ihr den Tag herannahen seht!

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