Freitag, 30. September 2011

Was ist biblische Theologie?

Zunächst muss geklärt werden, was Theologie an sich überhaupt ist. Das Wort setzt sich zusammen aus Theos (griech. Wort für „Gott“) und Logie bzw. Logia (griech. Wort für „Lehre“ oder „Rede“). Es ist somit kurz gesagt die Lehre von Gott. Nun ist es so, dass also jeder Mensch, der über Gott spricht, eine bestimmte Vorstellung von Gott hat. Diese Vorstellung kann entweder korrekt (wahr) sein oder falsch (unwahr) sein. Wir alle haben also eine solche Vorstellung und damit zugleich auch automatisch eine bestimmte Theologie. Nun ist es für jede und jeden Gläubigen notwendig, das eigene theologische System immer wieder zu überprüfen, um zu sehen, ob es vor dem, was Gottes Wort nun tatsächlich lehrt, standhalten kann. Einerseits tun wir das jedes Mal, wenn wir in der Bibel lesen. Wir stoßen dabei hin und wieder auf einzelne Aussagen, die uns irritieren, weil sie in unser bisheriges System nicht reinpassen. Dann tun wir automatisch eines von zwei logischen Verhaltensweisen: Entweder wir suchen eine Erklärung, weshalb das nicht so sein kann und behalten unser bisheriges System bei, anders gesagt: Wir versuchen, das Irritierende weg zu erklären. Oder wir sind bereit, unser System modifizieren zu lassen. Ein Beispiel für das Wegerklären wäre, dass man einen Befehl aus dem Neuen Testament an die Gläubigen als rein kulturell erklärt und damit aus dem System verschwinden lässt. Beliebt ist diese Variante bei Aussagen, die man heutzutage als diskriminierend gegen eine bestimmte Gruppe von Menschen betrachtet, sei es wegen des Geschlechts oder der sexuellen Ausrichtung, oder aus sonstigen Gründen. Sehr oft werden solche als negativ empfundenen Aussagen einfach als Produkte der damaligen Zeit verstanden, und somit für die heutige Zeit für ungültig erklärt.

Wenn wir nun von der „Biblischen“ Theologie sprechen, so sind damit zwei verschiedene Aspekte zugleich angedacht:

Erstens ist es eine Theologie der gesamten Bibel, es wird die Aussage sowohl des Alten als auch des Neuen Testaments ernst genommen. Dies ist notwendig im Blick auf die Tatsache, dass die beiden Testamente eine unzertrennliche Einheit bilden. So soll diese Einheit der beiden Testamente nicht nur theoretisch besprochen werden, sondern auch in praktischer Erarbeitung ihren Ausdruck finden. Diese Einheit kann letztendlich kaum genügend betont werden. Maleachi und Matthäus gehören in derselben Weise zusammen wie Jesaja und Jeremia oder der Jakobus- und der Hebräerbrief.

Zweitens rückt damit aber auch eine ganz andere Tatsache ins Zentrum der Überlegungen: Obgleich der Heilige Geist für die Niederschrift der einzelnen Bücher die Autoren inspiriert hat, so ist damit die Persönlichkeit der einzelnen Autoren nicht ausgeschaltet. So kommt es, dass im Urtext dasselbe Wort oder gar dieselbe Folge von Worten eine unterschiedliche Bedeutung bekommen kann und zuweilen auch unterschiedliche Begriffe für dieselbe Bedeutung stehen können. Dies ist davon abhängig, wie sich ein Wort im Laufe der Geschichte (im Laufe der Zeit) verändert hat und welcher biblische Autor es gebraucht.

Bereits der eigentliche Begründer der Biblischen Theologie, Johann Philipp Gabler, hatte dies in seiner berühmten Antrittsrede festgehalten:

Unter diesen Umständen müssen wir, wenn wir nicht erfolglos arbeiten wollen, die einzelnen Perioden der alten und der neuen Religion, die einzelnen Autoren und schließlich die einzelnen Redeformen, die jeder nach Zeit und Ort gebraucht hat, trennen; ob es das historische, didaktische oder poetische Genus ist.“ (Joh. Ph. Gabler in seiner 1787 gehaltenen Antrittsrede „Über die rechte Unterscheidung der biblischen und der dogmatischen Theologie“ in Strecker, Georg, Das Problem der Theologie des Neuen Testaments, S. 38)

Gabler hat mit dieser Ansprache die eigentliche Biblische Theologie begründet. Ihm geht es darum, dass die jeweilige Theologie des einzelnen Buches bzw. Autors mitberücksichtigt wird, bevor man aus der ganzen Schrift die Systematische Theologie (Dogmatik) baut. Dieses Anliegen ist durchaus legitim, wenngleich man sich von manchen von ihm propagierten historisch-kritischen Methoden distanzieren muss. So ist zum Beispiel Gablers Unterscheidung zwischen „der alten und der neuen Religion“ (Judentum und Christlicher Glaube) in diesem Sinne in Frage zu stellen.

Was man jedoch durchaus von Gabler übernehmen kann, ist die Erkenntnis, dass einerseits jeder Autor und jede Zeit bestimmte sprachliche Eigenarten besitzt, und andererseits dass jeder Text in einem bestimmten Umfeld entstanden ist und zunächst an dieses Umfeld und seine Zeit gesprochen, bzw. geschrieben wurde. Außerdem hat jeder Text eine bestimmte, ihm eigene Gattung, die ganz bewusst so gewählt wurde, und jede Gattung unterliegt bestimmten Regeln des Auslegens. Diese Regeln der Auslegung nennt man „Hermeneutik“, was so viel wie „Auslegung“ oder „Übersetzung“ bedeutet.

So ist die Weisheit des Sprüche-Buches einfach universal und zeitlos gültig, man kann sie lesen, umsetzen und bemerken, dass es einfach „funktioniert“, weil sie wahr ist. Dann gibt es aber auch Prophetien und Gebote an das Volk Israel, die man nicht eins zu eins auf die Gemeinde übertragen kann, sondern zunächst fragen muss, ob sie in Jesus Christus bereits erfüllt wurden. Dann gibt es aber auch Briefe im Neuen Testament, die an eine bestimmte Gemeinde mit einem ganz bestimmten inneren Problem gerichtet sind. Dort gilt es zunächst, diese innere Problematik zu erfassen und dann erst auf die heutige Zeit anzuwenden. Dies ist zum Beispiel ein Thema, mit welchem sich die Biblische Theologie befasst.

So soll die Biblische Theologie auf der einen Seite als eigenständige Wissenschaft die Bibel und ihre Texte nach den Hauptthemen und theologischen Schwerpunkten befragen, und zwar in Bezug auf die jeweilige heilsgeschichtliche Zeit, den einzelnen Autoren und die Textgattung und damit die verschiedenen „Theologien“ der Autoren herausarbeiten. Zugleich sollen ihre Ergebnisse der Dogmatik (systematische Darlegung von allen wichtigen Themen der Bibel) als Grundlage dienen, indem die Biblische Theologie zur Hilfswissenschaft der Dogmatik wird.

Ihrerseits hat die Biblische Theologie die Philologie (Sprachwissenschaft), die Archäologie, die Einleitungswissenschaft und die vergleichende Religionswissenschaft zur Seite stehen: Die Philologie hat als Aufgabe, den Sinn eines bestimmten Wortes in einer bestimmten Situation einer Fremdsprache festzustellen und dies in Form von Wörterbüchern und Grammatiken zu veröffentlichen. Die Archäologie sorgt mit ihren Ausgrabungen und der Identifizierung der ausgegrabenen Materialien für eine geschichtliche Einordnung sowie das Finden von Beweismaterialien für die Existenz historischer Personen und Situationen.

Die Einleitungswissenschaft untersucht den Text eines bestimmten biblischen Buches auf Hinweise auf den Verfasser, die Abfassungszeit, Ziele der Abfassung und manches mehr. Sie ist von höchster Bedeutung für die Biblische Theologie. Wer zum Beispiel mit den meisten historisch-kritisch arbeitenden Theologen annimmt, der Pentateuch sei mehrere Male ergänzt und erweitert worden, müsste dann für jeden weiteren Schritt der Veränderung eine eigene „Theologie“ finden. So arbeitete zum Beispel Gerhard von Rad in seiner „Theologie des Alten Testaments“, in welcher er vom in seinen Kreisen üblichen EJPD-Schema (insgesamt vier größere Überarbeitungen und Erweiterungen des Werks, das wir als die „Fünf Bücher Moses“ kennen) ausgeht.

Die vergleichende Religionswissenschaft untersucht die schriftlichen Quellen der verschiedenen Religionen und fragt nach einem Ursprung und einer sichtbaren Entwicklung der Religionen, in unserem Fall insbesondere der frühen Religionen des Vorderen Orients. Für Gerhard von Rad ist gerade die Religionsgeschichte ein wichtiger Bestandteil der Forschungen, deshalb beginnt er seinen ersten Band der „Theologie des Alten Testaments“ mit einem Kapitel über den „Abriß einer Geschichte des Jahweglaubens“.

Religionsgeschichtlich zu arbeiten bedeutet für uns, dass man die Heilsgeschichte als roten Faden quer durch die ganze Bibel hindurch betrachtet und deshalb die Heilsgeschichte als Ausgangspunkt und Aufbau der Biblischen Theologie wählt. Dieser Ansatz ist sehr hilfreich. Ein anderer Ansatz betrachtet die hebräische Bibel als Ganzes als eine Gesamtkomposition und fragt sich zunächst, weshalb welches Buch genau an dem Platz ist, wo es ist und nicht woanders. Dies ist der kanonische Ansatz, weil für ihn der biblische Kanon als Ausgangspunkt gewählt ist. Der dritte verbreitete Ansatz ist der sogenannt „dogmatische“ Ansatz. Meist geht er von einem bestimmten Schlagwort aus, das für den Autor das Zentrum der Bibel ist. Das wäre zum Beispiel bei Walther Eichrodt das Thema „Bund Gottes mit dem Volk“. Ausgehend von diesem Hauptthema wird nun jedes Buch einzeln untersucht und mit diesem Thema (oder teilweise auch mehreren Themen) als Zentrum genau beleuchtet.

Jeder der drei Ansätze hat natürlich seine Vor- und Nachteile, und meines Erachtens greift jeder Ansatz für sich allein zu kurz. Es braucht eine gesamte Sicht, die versucht, das Beste aus allen drei Ansätzen herauszukristallisieren. Das ist eine total spannende Sache und man lernt dabei die Bibel und ihre Botschaft noch viel mehr zu lieben. Mir zumindest geht es dabei so. Deshalb möchte ich hier hin und wieder einzelne Beiträge online stellen, die das noch weiter ausführen.

1 Kommentar:

  1. Gabler: "der alten und der neuen Religion"
    Erne: "die beiden Testamente eine unzertrennliche Einheit bilden."

    Ist das nicht ein Widerspruch? (Schon die Wortwahl "Religion" ist bezeichnend.)

    "So kommt es, dass im Urtext dasselbe Wort oder gar dieselbe Folge von Worten eine unterschiedliche Bedeutung bekommen kann" Selbstverständlich. Doch das ist kein entweder-oder, sondern ein sowohl-als-auch.

    "Dies ist davon abhängig, wie sich ein Wort im Laufe der Geschichte (im Laufe der Zeit) verändert hat und welcher biblische Autor es gebraucht."

    Das ist "moderne" Theologie und Grundlage um Texte wegzuerklären.

    Kennzeichen der "modernen" Theologie ist die Zerstückelung der Bibel in einzelne Theologien und die Unterschiede als Gegensätze und eben nicht als Einheit aufzufassen.

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