Freitag, 30. Dezember 2016

Bücher, die mich 2016 speziell beschäftigt haben

Von den rund 80 Büchern, die ich letztes Jahr gelesen habe, möchte ich hier eine Auswahl nennen, die mich besonders beschäftigt, berührt oder beeinflusst haben. Nicht alles in allen Büchern kann ich unterschreiben, also bitte ich etwaige von mir beeinflusste Leser darum, alles mit Verstand und Unterscheidung zu lesen oder im Zweifel vorher nachzufragen. Links führen zu meinen Blog-Posts zu den jeweiligen Büchern.

Romane
-J. R. R. Tolkien, Herr der Ringe
-Dorothy L. Sayers, Mord braucht Reklame

Biographien

Geschichte
-Richard Tarnas, Das Wissen des Abendlandes
-Alexis De Tocqueville, Democracy in America

Theologie
-David F. Wells, Losing Our Virtue
-Vern S. Poythress, Redeeming Science
-Mark Noll, The Scandal of the Evangelical Mind

Sonstiges
-Stephen Hawking, Eine kurze Geschichte der Zeit
-Kitty Ferguson, Gott und die Gesetze des Universums
-Friedrich Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft


Mittwoch, 21. Dezember 2016

Das nehme ich mir fürs Neue Jahr vor.


Jedes Jahr kommt zwischen Weihnachten und Neujahr häufig die Frage auf: Und was nimmst Du Dir fürs Neue Jahr vor? Und dann stößt meine Antwort meist auf Unverständnis und große Augen. Heute möchte ich diese Antwort etwas genauer untersuchen und auch begründen. Meine Antwort lautet: Nichts.

Im Laufe der Jahre bin ich zum Schluss gekommen, dass diese Neujarsvorsätze einige Gefahren bergen und deshalb kontraproduktiv sind. Sie bergen die Gefahr, dass man das Umsetzen guter Erkenntnisse auf die lange Bank schiebt. Wenn ich erkenne, dass ich was ändern sollte, dann will ich nicht bis zum 1. Januar warten. Denn solange ich das erkenne und es nicht umsetze, ist es mir zur Sünde geworden (Jakobus 4,17). Wenn ich also sowas erkenne, dann nehme ich meine Terminplanung zur Hand und sehe zu, dass ich das so bald wie möglich ändern kann.

Die zweite Gefahr besteht darin, dass man den Jahresanfang vergötzt. Man hebt diesen derart als etwas Besonderes in die Höhe und schreibt ihm magische Kräfte zu. Magisches Denken ist ein Götzendienst. Wer denkt, am Anfang des Jahres würde es mit dem Umsetzen der Vorsätze besser klappen, weil es der Jahresanfang ist, schreibt diesem solche Kräfte zu. Es ist ein Tag wie jeder andere auch. Wenn es natürlich zufällig der erste Tag ist, an welchem der Terminplan eine solche Umsetzung erlaubt, ist das kein Problem. Aber den Jahresanfang um des Jahresanfangs willen zu erhöhen ist Götzendienst.

Die dritte Gefahr sehe ich regelmäßig ungefähr am 10. Januar eintreffen. Dann macht sich Resignation breit. Dann kommt das Einsehen: Auch dieses Jahr hat es wieder nicht geklappt. Versuchen wir es halt nächstes Jahr wieder. Es entwickelt sich eine Gewohnheit des Nichtschaffens und eine Gleichgültigkeit. „Kann ja vorkommen. Ist ja nicht so schlimm. Habs mal wieder probiert und bin gescheitert.“ Zu diesem Punkt der Resignation möchte ich nie gelangen. Es ist mein Gebet, dass mein Zorn gegen die Sünde immer größer bleibt als die sich immer wieder entwickelnde Gleichgültigkeit.

Doch wie lässt es sich besser machen? Hier meine Tipps dazu.

1. Plane Veränderungen möglichst bald nach der Einsicht. Das Hinausschieben führt zum Vergessen, aber auch dazu, dass man dann immer wieder darüber nachdenkt, bis es sich plötzlich lächerlich oder unwichtig anfühlt.

2. Plane Veränderungen in kleinen Etappenschritten. Beispiel Bibellesen: Nicht von heute auf morgen gleich mit 5 Kapiteln anfangen, sondern zB enen Monat lang jeden Tag ein Kapitel, im zweiten Monat jeden Tag zwei Kapitel und so langsam steigern. Notiere die Etappenziele und lege fest, woran Du feststellen willst, wann das jeweilige Ziel erreicht ist.

3. Nimm Dir nie vor, nur mit etwas aufzuhören, sondern versuche, das Gegenteil der schlechten Gewohnheit zur guten Gewohnheit zu machen (oder etwas anderes Gutes, wenn es vom Schlechten kein Gegenteil gibt).

4. Behandle die guten Gewohnheiten wie wichtige Termine. Trage sie wenn möglich in den Terminplan ein mit Uhrzeit und halte Dich dann auch daran, selbst wenn es niemand überwacht.

5. Sprich mit einem Freund oder einer Freundin über den jeweiligen Vorsatz und bitte die Person, immer mal wieder nachzuhaken, wie es dabei gerade geht. Behandle den Vorsatz so, als ob Du ihn der anderen Person schuldig wärst.

6. Sei geduldig. Neue Gewohnheiten brauchen enorm viel Zeit. Und das ist gut so, auch wenn es uns oft lieber wäre, wenn es schneller ginge. Eine Gewohnheit ist eine sehr starke Verknüpfung im Gehirn. Wenn es einfacher ginge, wären alle Gewohnheiten nicht wirklich Gewohnheiten, sondern es würde uns lebenslänglich schwerfallen, richtig zu handeln.

7. Belohne Etappenziele. Suche etwas Gutes aus, was Du Dir beim jeweiligen Erreichen eines Etappenziels tust. Wichtig dabei: Etwas Gutes und keinesfalls das, was Du Dir grad abgewöhnen willst. Viel Erfolg beim Umsetzen der nächsten Vorsätze!


Freitag, 16. Dezember 2016

Fürchte Dich nicht... ...vor dem Fehler machen


Immer wieder fällt mir auf, wie viele Menschen zurückhaltend sind, am liebsten schweigen, sich bloß nicht zu weit aus dem Fenster lehnen wollen. Aus Angst. Angst, sie könnten damit einen Fehler machen. Angst, sie würden damit Gott enttäuschen. Angst, sie würden nicht mehr ernst genommen. Angst, einen „Shitstorm“ auszulösen. Ein paar Gedanken dazu.

Jeder von uns wird immer wieder Fehler machen.
Wenn jemand an einen Unfall heranläuft, gibt es nur einen Fehler: Nichts zu machen. Wer keine Ausbildung in der Rettung hat, kann für Fehler nicht belangt werden. Wenn etwas passiert, was dem Verunfallten zusätzlich Schaden zufügt, so ist der Ersthelfer immer auf der sicheren Seite. Es ist natürlich ein Unterschied, wenn vorsätzlich Schaden zugefügt wird, aber davon gehen wir ja nicht aus. Wer hilft, möchte Leben retten. Und so ist es da gesetzlich geregelt, dass Ersthelfer nicht belangt werden können. Das Schlimmste, was man machen kann, ist nichts zu machen, aus Angst, etwas falsch zu machen. Seien wir ganz ehrlich: Jedem wird es immer wieder passieren, dass wir Fehler machen. Manchmal gibt es auch Situationen, wo wir uns nur zwischen schlechten Wahlmöglichkeiten entscheiden können. Das ist in unserer gefallenen Welt etwas ganz Normales. Damit müssen wir klarzukommen lernen. Wer das nicht einsehen will, verweigert sich der Realität. Auch in solchen Momenten ist es wichtig, dass wir irgend eine Entscheidung treffen und daran festhalten. Das Schlimmste ist, wenn wir nichts tun, weil dann wird die Entscheidung doch getroffen – aber nicht von uns selbst, sondern von den Umständen. In solchen Momenten ermutigt uns Martin Luther mit seinem Wort, das er schon 1521 seinem Freunde Melanchthon schrieb: „Sündige kräftig, aber glaube noch kräftiger.“ Wenn wir uns nur zwischen schlechten Möglichkeiten entscheiden können, so sollen wir nach bestem Wissen und Gewissen eine Entscheidung treffen und dies im Glauben an den Gott, der größer ist als unsere Entscheidungen.

Gott ist immer noch größer.
Das führt mich zu einem zweiten Gedanken. Es geht bei der Freiheit des Christen nicht darum, dass wir tun und lassen sollen, was uns gerade einfällt. Freiheit bedeutet nicht nur von etwas befreit zu werden, sondern vor allem zu etwas. Christus befreit uns von unserm Selbst. Vom Kämpfen um ein Selbst-Wertgefühl. Vom Stolz auf sich selbst und was man schon alles erreicht hat. Von der Selbst-Überhebung, mit der man sich besser fühlen will als der andere. Gott ist das Zentrum des Christen, weshalb dieser sich selbst verleugnen muss, damit er aufhört, um sich selbst zu drehen. Selbstverleugnung bedeutet, sich selbst zu sterben. Sich bewusst zu werden, dass man es nicht schafft. Dass man Jesus braucht. Dass man die Kraft der Auferstehung und ein neues Herz nötig hat, um Gott und seinen Nächsten zu lieben. Und da merken wir: Gott ist größer. Es geht nicht so sehr um uns selbst, es geht um Ihn. Gott ist größer als all unsere Fehler. Er ist so groß, dass Er unsere Fehler schon kennt, bevor wir sie begehen. Er ist so groß, dass Er unsere Fehler nutzen kann, um Geschichte zu schreiben. Das bedeutet nun keinesfalls, dass wir unsere Entscheidungen auf die leichte Schulter nehmen sollen. Es bedeutet aber, dass wir im Fall eines Falles wissen dürfen, dass unser Gott immer noch größer ist. Er wird nicht von uns enttäuscht oder überrumpelt von unseren Fehlern. Joseph wurde von seinen Brüdern verkauft und kam so nach Ägypten. Gott gebrauchte diese schreckliche Sünde, um damit Weltgeschichte und Heilsgeschichte zu schreiben und eine ganze Gegend in der Hungersnot zu bewahren.

Werdet wie die Kinder.
Wenn ich unseren Sohn beim Wachsen und Lernen zuschaue, so freue ich mich immer über alles Neue, was er lernt. Zur Zeit ist er immer wieder dabei, neue Wörter zu testen und zu lernen. Kinder lernen sehr leicht, weil sie sich keine Gedanken über Fehler machen müssen. Sie freuen sich, wenn sie was sagen können und besonders wenn sie auch noch verstanden werden. Wir dürfen auch hier von den Kindern lernen. Mir ist das Lernen von Sprachen schon immer recht leicht gefallen, weil ich da wenig Hemmungen habe, Fehler zu machen, korrigiert zu werden und daraus zu lernen. Korrektur ist nichts Schlechtes, sie ist nichts, dessen wir uns schämen müssen. Sie ist notwendig für jeden von uns. Leben ist lernen. Lernen bedeutet Fehler zu machen und zu korrigieren.


Donnerstag, 15. Dezember 2016

Abhörprotokolle von Soldaten im 2. Weltkrieg


Sönke Neitzel / Harald Welzer, Soldaten. Protokolle vom Kämpfen, Töten und Sterben, S. Fischer Verlag, 3. Aufl. 2011 Amazon-Link

Da mich Geschichte und Politik sehr interessiert, habe ich kürzlich das Buch „Soldaten“ von Sönke Neitzel und Harald Welzer gelesen. Das Buch gibt einen sehr spannenden, wenn auch durchaus gewöhnungsbedürftigen Einblick in die Welt der Soldaten im 2. Weltkrieg. Es ist sehr lebhaft und interessant geschrieben. Die Soldaten, welche in den britischen und amerikanischen Gefangenenlagern waren, wurden bei ihren Gesprächen abgehört und die wichtigsten Gespräche wurden gleich mitgeschrieben. So kam es zu rund 150'000 Seiten Quellenmaterial, das lange Zeit in den Archiven verstaubte. Einige der Gespräche wurden ausgewählt und auszugsweise im Buch wiedergegeben. Dazwischen werden die Gespräche immer wieder im soldatischen Referenzrahmen eingebettet und so besser verständlich gemacht.

Was ist denn nun so ein Referenzrahmen? Ich möchte dazu ein paar Zitate aus dem Buch anführen: „Menschen sind keine Pawlow'schen Hunde. Sie reagieren nicht mit konditionierten Reflexen auf vorgegebene Reize. Zwischen Reiz und Reaktion gibt es bei Menschen etwas Hochspezifisches, das ihr Bewusstsein ausmacht und die menschliche Gattung von allen anderen Lebewesen unterscheidet: Menschen deuten, was sie wahrnehmen, und erst auf Grundlage dieser Deutung ziehen sie Schlussfolgerungen, entscheiden und agieren sie.“ (S. 16) Dieses „Hochspezifische“ wird im Buch als der Referenzrahmen bezeichnet. Referenzrahmen gewährleisten Handlungsökonomie: Das allermeiste, was geschieht, lässt sich in eine bekannte Matrix einordnen. Das wirkt entlastend: Kein Handelnder muss immer wieder bei null beginnen und stets aufs Neue die Frage beantworten: Was geht hier eigentlich vor? Der allergrößte Teil der Antworten auf diese Frage ist voreingestellt und abrufbar - ausgelagert in einen kulturellen Orientierungs- und Wissensbestand, der weite Teile der Aufgaben im Leben in Routinen, Gewohnheiten, Gewissheiten auflöst und den Einzelnen kolossal entlastet.“ (S. 17)

Moderne Menschen müssen beständig zwischen unterschiedlichen Rahmenanforderungen – als Chirurg, als Vater, als Kartenspieler, als Sportler, als Mitglied einer Eigentümergemeinschaft, als Bordellbesucher, als Patient im Wartezimmer, etc. - hin- und herwechseln und die mit jeder Rolle verbundenen Anforderungen bewältigen können. Dazu gehört auch, dass man das, was man im Rahmen der einen Rolle tut, aus der Sicht der anderen Rolle distanziert betrachten und beurteilen kann – dass man also zu unterscheiden in der Lage ist, wo Emotionslosigkeit und professionelle Kälte gefragt sind (bei einer Operation) und wo nicht (beim Spiel mit den Kindern).“ (S. 23)

(Mein Einwurf) Der Referenzrahmen ist also die kulturelle Eingebettetheit, in der eine Weltanschauung entsteht. Weltanschauungen lassen sich von uns reflektieren. Beim Referenzrahmen ist das viel schwieriger, weil dieser nicht nur von einem selbst abhängt, sondern von der ganzen Umwelt (Kultur) mitgeprägt wird. Hier bedarf es immer wieder einer objektiven, mit der Geschichte abgeglichenen Sicht aus der Distanz und das Bewusstsein, dass unsere Zeit und Kultur kein Deut besser sind als alle anderen. Das Problem unserer Zeit besteht darin, zu glauben, dass man tolerant sei, aber zugleich die eigene Toleranz vergötzt, erhöht und versucht, andere Kulturen zur selben Toleranz zu missionieren. (Ende Einwurf)

Wie kommt es, dass im 2. Weltkrieg so viel Gewalt normal war? Sie war es deshalb, so die Autoren, weil der Krieg ein Umfeld schuf, in dem die Gewalt erwünscht war und so auch genügend Gelegenheiten dazu gab. Letzten Endes gibt es immer Gewalt, die Frage ist nur, in welcher Form: „Im häuslichen Bereich gibt es nach wie vor Gewalt gegen Partnerinnen und Partner, gegen Kinder und Haustiere, in abgeschotteten sozialen Räumen wie in Kirchen oder Internaten ebenfalls. In öffentlichen Räumen wie Stadien, Diskotheken, Kneipen, in U-Bahnen oder auf der Straße finden Schlägereien und Überfälle, auch Vergewaltigungen statt. Daneben gibt es reguläre Formen öffentlichen Gewaltgebrauchs jenseits des staatlichen Gewaltmonopols, etwa im Kampf- oder Boxsport und in den Inszenierungen von Sado-Maso-Clubs. Jede Fahrt auf einer deutschen Autobahn belehrt einen über die chronische Gewalt-, gelegentlich sogar Tötungsbereitschaft ganz normaler Menschen.“ (S. 91)

(Mein Einwurf) Die Bibel macht uns klar, dass es Gewalt gibt seit dem Sündenfall. Bereits in der zweiten Generation der Menschheit gibt es Mord und Totschlag, Neid und Hass. Das sind keine „Mythen mit tieferer Bedeutung“, sondern ist so geschehen, wie Gottes Wort bezeugt. Es sollte uns also nicht erstaunen, dass es in jeder Generation sehr viel Gewalt gibt. Wir sollten uns also auch nicht einbilden, besonders gut zu sein, denn obiges Zitat zeigt, dass wir nicht besser sind, sondern lediglich die Situationen und Legitimation anders geworden sind. Dafür dürfen wir dankbar sein. (Ende Einwurf)

Der Krieg war für viele Soldaten ein Abenteuer. Er gab ihnen die Möglichkeit, sich besser zu fühlen. Sie wurden gebraucht. Sie bekamen einen Sinn im Leben an der Front. Sie konnten Rache nehmen für bereits getötete Freunde und Kollegen. Sie hatten eine Menge neuer Technik, auf die sie stolz waren. Sie konnten ihre Tapferkeit unter Beweis stellen. Und nicht zuletzt konnten sie auch Abzeichen sammeln, die besonders hervorragenden verliehen wurden. All das ist kurz zusammengefasst der wichtigste Inhalt der Protokolle. Man sollte nicht vergessen, dass der Soldat ein Arbeiter im Krieg war. Seine Arbeit war das Töten und Zerstören. Das ist der Unterschied. Die meisten Arbeiten sehen sonst das Aufbauen von etwas vor. Im Krieg ist es das Gegenteil. „Soldaten lösen ihre Aufgabe mit Gewalt; das ist schon das Einzige, was ihr Tun systematisch von denen anderer Arbeiter, Angestellten und Beamten unterscheidet. Und sie produzieren andere Ergebnisse als zivile Arbeitende: Tote und Zerstörung.“ (S. 418)

Die Autoren kommen zur Schlussfolgerung: „Man sollte sich besser fragen, ob und unter welchen sozialen Bedingungen Menschen vom Töten ablassen können. Dann könnte man aufhören, jedes Mal, wenn sich Staaten dazu entscheiden, Krieg zu führen, in ostentative Erschütterung darüber zu verfallen, dass es dabei Verbrechen und Gewalt gegen Unbeteiligte gibt. Die gibt es deswegen, weil der Referenzrahmen 'Krieg' Handlungen gebietet und Gelegenheitsstrukturen entwickelt, in denen Gewalt nicht oder nicht vollständig eingehegt und begrenzt werden kann. […] Wenn man aufhört, Gewalt als Abweichung zu definieren, lernt man mehr über unsere Gesellschaft und wie sie funktioniert, als wenn man ihre Illusionen über sich selbst weiter teilt. Wenn man also Gewalt in ihren unterschiedlichen Gestalten in das Inventar sozialer Handlungsmöglichkeiten menschlicher Überlebensgemeinschaften zurückordnet, sieht man, dass diese immer auch Vernichtungsgemeinschaften sind. Das Vertrauen der Moderne in ihre Gewaltferne ist illusionär. Menschen töten aus verschiedensten Gründen. Soldaten töten, weil das ihre Aufgabe ist.“ (S. 421f)

Was dem Buch fehlt, ist der positive Ausblick, den uns Gottes Wort, die Bibel, gibt. Und das in zweifacher Form. Sie weiß darum, dass der Mensch durch eine echte Bekehrung und Wiedergeburt durch Gottes Kraft verändert werden kann. Sie weiß um die Versöhnung, die schon hier auf Erden möglich ist. Und sie weiß darum, dass das Leben in dieser Welt nicht das letzte Wort sein wird. Deshalb ist es die Aufgabe der weltweiten christlichen Kirche, die gute Nachricht von Jesus Christus weiterzugeben. Weil ER der Einzige ist, der uns tatsächlich von innen nach außen verändern und ein neues Herz mit Liebe statt Hass schenken kann.

Was mir beim Lesen immer wieder aufgefallen ist, ist die Tatsache, dass viele Soldaten ihr Heil im Krieg gesucht haben. Sie sahen im Krieg den Sinn ihres Lebens. Sie wollten immer wieder den kurzen Kick des Spaßes und des Machtgefühls, wenn man seine Gegner umlegen kann. Sie suchten das Abenteuer und die Belohnung im Krieg – wenn sie nur gewusst hätten, dass das größte Abenteuer ein Leben mit Jesus Christus und die größte Belohnung das ewige Leben mit Gott ist.


Freitag, 2. Dezember 2016

Wie können wir denn im postfaktischen Zeitalter leben?

Ich habe bereits vor einer Weile gezeigt, dass wir nicht die ersten sind, die in einem postfaktischen, postdemokratischen und postliberalen Zeitalter leben. Heute möchte ich noch einen Schritt weiter gehen und nach möglichen Antworten auf diese Frage suchen, wie man in einem solchen Zeitalter leben kann. Ich mache gleich zu Beginn zwei wichtige Unterscheidungen. Es gibt zwei mögliche Arten von Antworten auf diese Frage. Eine Art befindet sich innerhalb des Bereichs der allgemeinen Gnade und eine Art innerhalb der speziellen Gnade. Was ist der Unterschied? Die allgemeine Gnade ist die Art, wie Gott unsere Welt lenkt und jeden Menschen und die gesamte Schöpfung segnet. Allgemeine Gnade ist, dass jeder Mensch ein Gewissen hat. Durch das Gewissen wird jeder Mensch davon abgehalten, so schrecklich zu handeln, wie er könnte, wenn er das Gewissen nicht hätte. Zur allgemeinen Gnade gehört, dass Gott die Naturgesetze aufrecht erhält, dass nach dem Regen wieder Sonne, nach der Nacht wieder Tag und nach dem Winter wieder Sommer kommt. Zur allgemeinen Gnade gehört auch, dass es Staaten gibt, die ebenfalls dazu beitragen, dass nicht jeder tun und lassen kann, was ihm gerade in den Sinn kommt, da der Staat dazu Gesetze schafft, die uns in Erinnerung rufen, dass nicht alles erlaubt ist und die uns vor dem Unerlaubten abschrecken. Zur allgemeinen Gnade zählt auch, dass jeder Mensch in der ganzen Schöpfung Gott erkennen kann, aber auch die Freiheit hat, diese Erkenntnis abzulehnen und zu unterdrücken. Zur speziellen Gnade hingegen zählt alles, was Gott denen verspricht, die an Ihn glauben, die von Neuem geboren sind. Aus dem Blickwinkel der speziellen Gnade ist die Antwort auf unsere Frage eindeutig: Was wir brauchen, ist Erweckung, denn dort, wo viele Menschen zum lebendigen, heiligenden und umgestaltenden Glauben kommen, verändert sich auch die jeweilige Gesellschaft zum Guten.

Aber was ist, solange es noch keine solche Erweckung in unserer westlichen Welt gibt? Kann es da eine Antwort geben, die auch aus der Sicht der allgemeinen Gnade zum Guten führt? Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass es auf jeden Fall gute Ansätze gibt, die man überdenken und weiterentwickeln kann. In der Zeit des griechischen Postfaktizismus war es zum Beispiel der Philosoph Aristoteles, der sich darüber Gedanken machte, wie man in dem Zeitalter leben könne. Aristoteles kam zum Schluss, dass die Tugend etwas besonders Wichtiges ist. Doch was ist Tugend genau? David F. Wells beschreibt das in seinem Buch „Losing Our Virtue“ sehr gut. Ich versuche, mit eigenen Worten kurz zu fassen, was Wells als Tugend herausarbeitet. Es gibt im Leben drei Arten von Bereichen. Ein solcher Bereich wird vom Staat mit seinen Gesetzen abgedeckt. Mord und Diebstahl werden durch Gesetze verboten. Das ist der erste Bereich. Auf der anderen Seite gibt es den Bereich der persönlichen Freiheit. Ich kann mich frei entscheiden, ob ich am Abend noch ein Buch lesen, auf Facebook chatten oder einen Film anschauen will. Da hat der Staat nichts festzulegen. Und dazwischen gibt es einen Bereich, der eigentlich durch die Tugend abgedeckt wurde. Die Tugenden sind Leitlinien, die das zwischenmenschliche Miteinander ermöglichen sollen. Höflichkeit ist eine Tugend, die früher in den Familien einen hohen Stellenwert besaß. Es war schwierig, unhöflich zu sein, denn die Menschen waren ihrer Gemeinschaft ein Stück weit ausgeliefert, man konnte nicht einfach so schnell umziehen und woanders eine neue Existenz aufbauen. Wer geizig war, wurde gemieden. Und so weiter. Die Strafe für untugendhaftes Verhalten kam ziemlich automatisch aus der Gesellschaft, in der man lebte. Diese Tugend ist heutzutage verloren gegangen. Zwischen den staatlichen Gesetzen und der persönlichen Freiheit ist ein Vakuum entstanden, um das sich nun die beiden Extreme, Staat und persönlicher Egoismus, streiten.

Aristoteles stand einem ähnlichen Problem gegenüber. In seiner Zeit waren es Sophisten, die eine Lehre vom Leben verbreiteten, die unserer Zeit in gewissen Punkten gleichen. Sie waren der Meinung, dass es keine absolute Wahrheit gebe. Alles sei relativ. Wahrheit sei das, was die besten Rhetoriker durch ihren besten Reden verkündeten. Heute ist Wahrheit das, was jene Minderheiten verkünden, die sich als am meisten unterdrückt darstellen können. Auch das ist eine Form der Rhetorik. Für die Sophisten war der Mensch das Maß aller Dinge. Auch heute klingt es ähnlich: Der Mensch würde seine Realität kulturell selbst konstruieren, und zwar so, dass die Konstrukteure der Realität jeweils die meiste Macht erhielten.

Aristoteles beginnt seine Untersuchung der Ethik mit etwas, was uns auch heutzutage sehr bekannt scheint. Er fängt mit der Feststellung an, dass alle Menschen nach Glück streben. Dazu muss er aber definieren, was Glück ausmacht. Er definiert Glück mit dem richtigen Handeln und richtigen Leben. Das höchste Gut im Leben, das was das Glück ausmacht, ist zugleich aber auch das höchste Ziel im Leben. Aristoteles sagt das ungefähr so: Jeder Mensch hat viele Ziele. Manche Ziele suchen wir für uns selbst, manche auch für andere Menschen, das höchste Ziel hingegen suchen wir um dieses Zieles willen. Und hier muss Aristoteles, aber auch jeder andere Mensch, der versucht, eine Begründung für sein Leben und Handeln außerhalb von Gott zu suchen, auf einen Zirkelschluss zurückgreifen. Die einzige Ethik, welche letztlich ohne einen solchen auskommt, ist die Ethik der Bibel, denn sie kann sich auf die unfehlbare Offenbarung Gottes verlassen.

Jeder Mensch strebt nach Glück. Glück bedeutet richtiges Leben und richtiges Handeln. Glück will der Mensch, um glücklich zu sein, und nicht um damit noch etwas anderes zu erreichen. Die Tugend ist dieses richtige Leben und richtige Handeln. Doch was gehört zu dieser Tugend dazu? Zwei Dinge: Erstens die Vernunft und zweitens das dieser Vernunft gemäße Handeln. Jeder Mensch hat im Leben bestimmte Aufgaben. Er hat einen Beruf, er hat Familie, er läuft an bestimmte Situationen heran, etc. und immer und überall steht er da als Mensch mit bestimmten Aufgaben. Nun gibt es nach Aristoteles viele Momente, in denen man nicht einfach sagen kann: Dann muss jeder die Handlung XY tun. Wer abends in Frankfurt an eine Schlägerei läuft, sollte nicht zwingend eingreifen, denn es könnte sein, dass er mit einem Notruf besser gehandelt hat. So kann die Aufgabe je nach Person ganz unterschiedlich aussehen. Einer ist handwerklich begabt, ein anderer eher intellektuell. Da haben nicht beide dieselbe Aufgabe im selben Moment, sondern wenn jeder mit seinem besten Können mithilft, wird die Sache im Endeffekt besser. Tugend ist nach Aristoteles die Mitte zwischen zwei Extremen:

Feigheit – Tapferkeit – Tollkühnheit
Geiz – Großzügigkeit – Verschwenderei
Schmeichelei – Freundlichkeit – Streitsucht

Sehr viele Tugenden lassen sich in diese Dreiteilung eingliedern. Die „Mitte“ bedeutet bei Aristoteles aber nicht 50%. Das kann sein, muss aber nicht. Es kommt jeweils auf die Situation an. Deshalb braucht es auch den Verstand dazu, der einem hilft, zwischen diesen Extremen zu entscheiden. Und dann gibt es auch noch Tugenden, die keine Mitte haben. Es gibt keine Mitte zwischen Mord und am Leben lassen. Oder keine Mitte zwischen Treue und Ehebruch. Deshalb sind Mord und Ehebruch immer zu verurteilen. Ein weiterer wichtiger Punkt ist auch, dass diese Tugend immer etwas mit unserem Willen, mit einer festen Entscheidung zu tun hat. Ich glaube, das ist in unserer Zeit ebenso wichtig zu sagen wie es damals zur Zeit Aristoteles' war. Wir leben in einer Zeit, in welcher diese Entscheidungen verpönt sind. Eine Entscheidung für etwas bedeutet immer 1000 Entscheidungen gegen mögliche Alternativen. Als ich meine Frau heiratete, habe ich mich gegen Milliarden anderer Frauen entschieden. Aber wer sich nicht entscheidet, bekommt die Rechnung bald, denn dann entscheiden die Umstände für uns und wir müssen mit ihnen klarkommen. Tugend muss entschieden werden, weil sie das Gegenteil des instinktiven Handelns ist.

Doch wie kommen wir dorthin? Uns fehlt die Gesellschaft, die uns für die Untugend straft. Wir können jederzeit fliehen, jederzeit an einem neuen Ort eine neue Existenz aufbauen. Da braucht es unseren Willen, das zu durchdenken. Es braucht auch eine neue Erziehung zur Tugend. Ethik hat eine ganze Menge mit Erziehung zu tun. Der Grundsatz dafür muss lauten, dass es Richtig und Falsch gibt. Dass Richtig und Falsch nicht in den Extremen zu finden ist. Und dass der Mensch eine Vernunft bekommen hat, die ihm dabei hilft. Soviel zu einer Ethik der allgemeinen Gnade. Wichtig bleibt der Hinweis, dass alle Ethik niemanden zu Gott bringt. Dorthin führt nur ein Weg, eine Wahrheit und ein Leben - Jesus Christus.