Montag, 15. September 2014

105 Jahre Berliner Erklärung

auch 18 Jahre nach der Kasseler Erklärung (s.u.) wird in einigen Gemeindekreisen noch immer auf die Berliner Erklärung verwiesen, die die Pfingstbewegung als „Geist von unten“, also als eine dämonische Bewegung, einstufte. So möchte ich das 105-jährige „Jubiläum“ der Berliner Erklärung dazu nutzen, um auf die Hintergründe und die Entstehung dieser Erklärung hinzuweisen.

Sommer 1907, Kassel
Um die Vorgeschichte der BE zu verstehen, ist es wichtig, die Vorgänge in Kassel zu kennen. Bei der jährlich im Frühjahr stattfindenden „Brieger Woche“, einer Art Konferenz im heute polnischen Niederschlesien, konnte Pastor Johannes Paul von seinen Erlebnissen berichten, die er in der jungen Pfingstbewegung in Norwegen hatte. Bei dieser Veranstaltung war Heinrich Dallmeyer dabei, der ein Evangelist aus Kassel war. Dallmeyer reiste daraufhin im Juni zu einer Evangelisation in Hamburg, wo zwei Schwestern aus Norwegen waren, die die Geistestaufe und die Gabe der Zungenrede bekommen hatten. Daraufhin lud er die Beiden mit nach Kassel ein, wo sein Bruder ein Blaukreuzhaus leitete und begann mit täglichen Veranstaltungen. Zu Beginn war es eine wirklich außerordentlich gesegnete Zeit, in der eine große Erweckung ausbrach, viele Sünden aufgedeckt, bekannt und Menschen innerlich gereinigt wurden.

Mit der Zeit vermischten sich aber immer mehr menschliche Einflüsse mit dem Wirken des Heiligen Geistes. Die zwei Schwestern aus Norwegen erkannten das und machten am 25. Juli klar, dass das, was jetzt in Zungen gesprochen werde, nicht von Gottes Geist sei. Als Dallmeyer darauf nicht reagierte, verließen die Beiden die Versammlung und kamen nicht mehr zurück. Die ganzen Ausschreitungen und Tumulte begannen zu der Zeit – und wurden so stark, dass die Versammlungen am 1. August unter Polizeiaufgebot beendet werden mussten. Noch am 21. Juli hatte der Evangelist Elias Schrenk festgestellt, dass die Bewegung von Gott sei. Am Am 28. Juli schrieb er Dallmeyer einen Brief mit der Bitte, die öffentlichen Versammlungen einzustellen. Doch Dallmeyer machte weiter – und ließ sich die Versammlungen entgleiten.

Die Berliner Erklärung
Nach diesen Vorkommnissen wechselte Dallmeyer das Lager und begann, die neue Bewegung zu bekämpfen. Er war der Ansicht, dass alles Zungenreden von einem Geist „von unten“, also aus dämonischen Einflüssen, kommen müsse. Inzwischen gab es im Gnadauer Verband drei Lager: Die Freunde der Pfingstbewegung, deren Gegner, und die Neutralen. Dies führte immer wieder zu ganz schwierigen Situationen, weshalb Elias Schrenk 1909 von Heinrich Dallmeyer Material über die ganze Bewegung wünschte. Dallmeyer selbst hat an der Sitzung in Berlin nicht teilgenommen. Walter Michaelis, der damals der Leiter des Gnadauer Verbandes war, lud für den 15. September 1909 nach Berlin ein.

In einer „19stündigen Mammutsitzung“ (Ernst Giese, S. 98) kam es zu dem Dokument, das heute als „Berliner Erklärung“ bekannt ist. Dort wird festgehalten, dass
1. die Pfingstbewegung von unten sei.
2. es ihnen unmöglich sei, eine solche Bewegung als von Gott geschenkt anzusehen.
3. die Gemeinde Gottes in Deutschland darüber Buße tun müsse, dass eine solche Bewegung nach Deutschland kommen konnte.
4. die Lehre vom „reinen Herzen“ (also der anhaltende Zustand totaler Sündlosikgkeit) abgelehnt würde.
5. Pastor Paul nicht mehr als Leiter und Lehrer innerhalb des Verbandes angesehen werden könne.
6. sie nicht auf ein neues Pfingsten, sondern auf die Wiederkunft des Herrn warten würden.

(Zusammenfassung in meinen Worten, genauer Wortlaut nachzulesen zum Beispiel bei Wikipedia)

Anmerkungen von Ernst Giese
Ernst Giese hält verschiedene Dinge fest, die bei der Ausarbeitung der Berliner Erklärung gelaufen sind, welche zeigen, dass diese Erklärung „nicht auf umfangreichem und zuverläßigem Material“ (Giese, S. 108ff) beruhen (ebenfalls meine eigene Zusammenfassung der Punkte bei Giese):
1. Die Erklärung ist privat, es gab keine öffentliche Einladung, sondern die Eingeladenen wurden im Voraus selektiert.
2. Es gibt kein Protokoll der Sitzung, auch haben die meisten zwar für die Resolution gestimmt, aber sie nicht selbst unterschrieben.
3. Sie ist nicht einstimmig beschlossen, da sich drei der Geladenen der Stimme enthielten.
4. Die angeklagte Seite wurde nicht nach Berlin eingeladen, und konnte sich deshalb weder verteidigen, noch über Missverständnisse aufklären.
5. Sie ist ohne jegliche Selbstkritik.
6. Sie beruht auf falschem Material, das nichts mit Pastor Paul und der deutschen Pfingstbewegung zu tun hatte.
7. Sie ist anmaßend (wegen der Formulierung zu Pastor Paul)
8. Sie ist übereilt, denn schon 1910 musste Michaelis selbst zugeben, dass die Lehre vom „reinen Herzen“, wie sie von Pastor Paul gelehrt wurde, keine Sündlosigkeit im absoluten Sinn lehre.

Obwohl es also nötig gewesen wäre, diese Erklärung zurückzunehmen, oder zumindest gründlich zu überarbeiten, wurde sie stattdessen im Gnadauer Verband 1910 bestätigt und zu den offiziellen Dokumenten des Verbands hinzugefügt. Die Christenheit hat in Deutschland einen unheilbaren Riss bekommen.

Die Kasseler Erklärung
Am 1. Juli 1996 haben sich Vertreter der Deutschen Evangelischen Allianz (DEA) und des Bundes Freikirchlicher Pfingstgemeinden (BFP) getroffen und eine gemeinsame Erklärung herausgegeben, die die Zusammenarbeit ermöglichen soll. Diese hat die Berliner Erklärung nicht aufgehoben, denn keiner der ursprünglichen Unterzeichner von Berlin war noch am Leben, der diese Erklärung noch hätte widerrufen können. Aufgrund dieser Kasseler Erklärung ist die örtliche Zusammenarbeit von Gemeinden der Evangelischen Allianz mit Pfingstgemeinden endlich möglich geworden.

Vor 5 Jahren, zur 100. Jährung der Berliner Erklärung haben der Gnadauer Verband und der Mühlheimer Verband eine gemeinsame Erklärung herausgegeben, in welcher sie diese Zusammenarbeit im Rahmen der Evangelischen Allianz loben und diese weiterhin fördern wollen. Die historischen Dokumente hätten jetzt keine Bedeutung mehr, sondern man wolle gemeinsam vorwärtsgehen. (Exakter Wortlaut hier)



Verwendete Literatur

Giese, Ernst, Und flicken die Netze, Ernst Franz Verlag Metzingen, 2. Aufl. 1987
Hollenweger, Walter, Handbuch der Pfingstbewegung, Dissertation, 1965, Online-Version [URL: https://archive.org/download/pts_handbuchderpfings_1422_1/pts_handbuchderpfings_1422_1.pdf]
Schmidgall, Paul, Von Oslo nach Berlin, Leuchter Edition Erzhausen, 1. Aufl. 2003
Zopfi, Jakob, … auf alles Fleisch, Dynamis Verlag Kreuzlingen, 1. Aufl. 1985

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